Tom Feuerstacke und Axel Bröker besprechen Gastronomie, Pandemie und Hilfen
MEHR KÖLSCH GEHT NICHT
Eigentlich läuft alles ganz normal, wenn man erfolgreich arbeitet. Man führt seine Geschäfte und kümmert sich um mögliche neue Ideen. Wenn dann was Unerwartetes an die Tür deines Betriebes klopft und du die Pforten für unbestimmte Zeit schließen musst, ist Schluss mit lustig. Viele Menschen würden sich jetzt verstecken. Einer nicht. Der Axel. Kurz geschüttelt, Ärmel hochgekrempelt und alles auf links gezogen. Das Ergebnis: mit neuer Frische und dem gesamten alten Team nach anderthalb Jahren gebremst Vollgas geben. Und wo andere verkleinern, zaubert er was Neues aus dem Hut.
Axel, wir müssen etwas aufs Tempo drücken. Die Zeit ist knapp. Was ist dir passiert, dass du so hetzen musstest zu
unserem Gespräch?
(Lacht) Die Stadt Münster wollte meinen Frikadellenschein sehen. Sie wollten schwarz auf weiß, dass ich darüber belehrt bin, dass Lebensmittel mit Getränken nicht in eine Kühlzelle gehören. Also musste ich schnell zur Industrie- und Handelskammer, um eine Kopie zu besorgen. Zum Glück haben die den gefunden. 1996 ist ja schon etwas her.
Nach 25 Jahren fällt der Stadt auf, dass sie deinen Nachweis über die Gaststättenunterrichtung brauchen. Nicht schlecht. Bei jemandem, der seit seinem 18. Lebensjahr in der Gastronomie unterwegs ist, hätte ich erwartet, dass das früher verlangt wird.
Ganz so dramatisch ist es nicht. (lacht) Die haben die Bescheinigung verlegt und nicht gefunden. Kann ja mal passieren. Vermutlich finden sie ihn jetzt wieder, wo die Kopie vorliegt.
Als Gastronom hast du schon einiges erlebt. Rückblickend auf die letzten anderthalb Jahre. Kannst du dich nur annähernd an eine solche schwierige Phase erinnern?
Nein. Wir sind ja viel gewohnt in unserer Branche. Aber das ist schon Wahnsinn gewesen. Das war ein ordentliches Kopfgeficke. Wenn du hinten ausholst oder vorne anfängst. Letztendlich können wir froh sein, dass wir in Deutschland leben und so gut behütet wurden. Als Gastronom gilt für mich dasselbe. Am Ende wurde uns allen geholfen und es war okay. Was mit dem Beginn der Pandemie aussah, als würde das kaum jemand mit seinem Gastrobetrieb überleben, stellt sich heute zum Glück anders da. Es war allerdings ein extremes Jahr mit ganz wenig Schlaf und viel Kopfkino. Das Ganze war grenzwertig und es gab schon die eine oder andere Nacht, wo ich dachte, dass ich alles vor die Wand fahre.
Letzten Sommer standest du an einer Ampel und hattest aus dem Nichts angefangen zu heulen. Das ist ein starkes Statement über deine seelische Verfassung?
Wir sind keine Maschinen und du kannst nicht dauerhaft den Li-La-Launebär spielen. Irgendwann überrennt dich alles. Das Leben bedeutet ja nicht, dass man mit allen ständig mit Kölsch und Sasse anstößt. Das war beruflich mit Abstand das Emotionalste, was ich bis jetzt mitgemacht habe. Ich musste viele Schritte machen, besonders auch privat. Da war Firma und Privates nicht zu trennen. Am Ende habe ich 14 Monate auf mein Gehalt verzichtet.
Was genau musstest du angehen?
Ich habe räumlich das Büro, den Firmen-Fuhrpark und meine Wohnung verkleinert. Wir betreiben mehrere Firmen, und die Situation durch die Pandemie ging ja nicht von 100 auf 80, sondern direkt auf null.
Ich vermute, dass diese Einschnitte getätigt wurden, damit du dein Personal zusammenhalten konntest?
Für die 180 Aushilfen gab es nichts zu tun. Preußen zu. Stadtfeste, Schützenfeste und Feierlichkeiten sind nicht möglich gewesen. Das Stammpersonal konnten wir ohne Kurzarbeit weiterbeschäftigen.
Du bist gelernter Kaufmann. Hast dir nach und nach eine Firma mit mehreren Standbeinen aufgebaut. Gastronomie war dicht. Events konnten nicht stattfinden. Der DFB hat keine Zuschauer mehr ins Stadion gelassen …
… so sieht es aus und du hast null Einnahmen. Auf der anderen Seite standen die Kosten, von denen keiner wusste, ob es Hilfe geben wird oder nicht. Auf einmal sitzt du abends am Schreibtisch bei einer Flasche Wein und rechnest. Dabei wird dir klar, dass es einen Berg an Fixkosten gibt, der dir sonst nicht aufgefallen ist, weil durch ständigen Cashflow diese sofort bezahlt sind. Und fängst an, Schrauben zu drehen, damit du nicht untergehst.
Du warst am Anfang der Pandemie sehr kämpferisch. Teilweise weit nach vorne preschend und dann zurückrudernd. Du hast dich mit Leuten verbal angelegt. Hast Beifall und Missverständnis geerntet. Du hast aber nie erzählt, was du alles machst, damit es am Ende weitergeht für deine Mitarbeiter. Warum hast du das nicht auch publik gemacht?
Meine Mitarbeiter waren über meine Schritte immer informiert. Darüber hinaus, warum sollte ich das rausposaunen? Ich bin nicht der Typ, der Geld spendet und am Ende des Tages die Publicity sucht. Ich habe eine Verpflichtung meinen Mitarbeitern gegenüber und der komme ich bedingungslos nach. Auch wenn es nach außen nicht so wirkt oder mich die Menschen anders wahrnehmen. Ich weiß noch immer, wie die Aufgaben aussehen und kann jeden Job miterledigen. Als Team haben wir alles erreicht. Und das ist in meinem Herzen.
Wie oft standest du davor, alles zu beenden und zurück in euren Getränkemarkt zu gehen?
Die Personalüberlassung habe ich drangegeben. Es gab ja auch für die Aushilfen anderthalb Jahre nichts zu tun. Die anderen Firmen standen nie zur Debatte. Wie so oft im Leben entsteht durch eine Krise eine Chance. Wir sind besser aufgestellt als je zuvor. Deutlich produktivere Strukturen haben wir aufgebaut. Mein Überblick ist weiter geworden. Rechts und Links habe ich ja teilweise gar nicht mehr wahrgenommen.
Als erfahrener Gastronom in Münster hast auch du jede Hiobsbotschaft zur Kenntnis genommen. Was ist dein Eindruck, wo die Gastronomie jetzt steht?
Wir stehen ungefähr da wie vor der Pandemie. Lass es 10 Prozent sein, die den Marathon bis jetzt nicht geschafft haben.
Ab welchem Zeitpunkt war dir klar, dass Corona für die Gastro ein gutes Ende nehmen könnte?
Die November- und die Dezemberhilfe waren wirklich hilfreich. Es sind auch die beiden umsatzstärksten Monate. Das war wichtig und ab da ging es dann auch aufwärts. Es kam ja noch die Ü3 hinterher. Die Fixkostenübernahme der ersten sechs Monate in diesem Jahr. Alles, was da an Hilfen kam, war richtig und wichtig. Aber eines muss uns allen klar sein. Kommt es noch mal zu einem Lockdown, werden viele nicht mehr in der Lage sein, das aufzufangen. Ich persönlich glaube aber auch nicht, dass es eine solche Situation erneut geben wird.
Du bist ja durchaus politisch: Es kommen jetzt 3-G-Regeln und vermutlich in Zukunft 2-G-Regeln.
Wie ordnest du das für dich ein?
Erst mal muss jeder für sich wissen, ob er sich impfen lässt. Ich persönlich find es wichtig, sich impfen zu lassen. Was die Regeln betrifft, werde ich alle anwenden. Ich kann auf Umsatz nicht verzichten, weil jemand sich nicht impfen lassen möchte.
Axel, du warst im Urlaub und hast die ein paar ruhige Tage gegönnt?
Genau. Kleines Zimmer in den Bergen Österreichs. Viel Wandern und Radfahren. Abends eine Jausenplatte. Nicht mehr und nicht weniger.
Jetzt bin ich die Tage am Germania-Campus gewesen und was sehe ich da?! Es entsteht ein neues „Früh bis spät“ und das größer als das jetzige. Nicht schlecht, was einem so im Urlaub in den Sinn kommt?
So bin ich. Urlaub machen und neue Fakten schaffen. Ganz so war es dann aber nicht. Mir wurde ein Objekt angeboten. Als ich es besichtigt hatte, war mein Bauchgefühl wie beim ersten „Früh bis spät“. Zwei Punkte waren dabei ausschlaggebend. Durch Corona habe ich Geld verloren und muss nun investieren, damit es nach vorne geht. Der zweite Punkt ist, dass ich schon immer anders war als alle anderen. Ich gehe gerne das Risiko und vielleicht ist es auch etwas mein Ego. Ich glaube aber, dass in der Ecke das Konzept fehlt und wir Musik, Fußball, Schnitzel und Burger bringen …
… ganz schön viel Ruhe gehabt im Urlaub …
(Lacht) Manchmal muss man auf seinen Bauch hören und davon habe ich ja genug.
Aber mal im Ernst. Raus aus der Stadt in ein neues Gebiet. Das ist schon ein Risiko?
Man vertut sich da schnell. In der Gegend ist viel gebaut worden. Es leben dort Studenten und junge Familien. Zudem kann man kostenlos parken. Alles Voraussetzungen, die optimal sind. Außerdem fahre ich ja kein neues Konzept, sondern bringe mein funktionierendes mit. Früher habe ich als Innenstadtjunge gedacht, das wäre am Arsch der Welt. Aber so viele Menschen wohnen ja gar nicht in der Innenstadt. Die kommen hierhin. Ich bin überzeugt, dass am Campus was entstehen kann, und wir wollen ein kulinarischer Teil davon sein.
Mal eine andere Sache. Ihr habt schweren Herzens erneut das Stadtfest abgesagt. Auf der anderen Seite gab es einen eingezäunten Send im Sommer auf dem Schlossplatz. Ärgert es dich?
Absolut nicht. Es freut mich sogar für die Schausteller, dass es auch in diesem Jahr möglich war, die Fahrgeschäfte und alles, was dazu gehört, zu präsentieren. Wir haben mit der Stadt alles versucht, das Stadtfest zu organisieren. Aber am Ende gab es kein sicheres Konzept. Außer ein Open Air, eingezäunt als Festival. Das ist ja nicht unsere Idee. Es kam der Zeitpunkt, wo im Prinzip alle Feste abgesagt wurden. Schwerer Schritt, aber absolut nicht anders machbar.
Wie ist denn überhaupt die Tendenz für Volksfeste, deiner Meinung nach? Wird es einen Weihnachtsmarkt geben?
Ich glaube sicher, dass es einen Weihnachtsmarkt geben wird. Vielleicht wird man diesen einzäunen wie den Schock auf dem Schlossplatz. Es ist halt Open Air und man muss ja immer weiter zum Alltag zurück. Wie das dann funktioniert, werden wir sehen. Wir wissen ja auch jetzt noch nicht, wie das Weihnachtsgeschäft in den Läden funktionieren wird. Was ich sagen kann: Die Leute wollen wieder raus. Sie haben Bock. Ob im Stadion oder in den Kneipen. Die Leute wollen wieder feiern und zusammen sein. Von daher wird es spannend sein, wie es funktioniert.
Man verspürt bei dir einen deutlich gedämpften Optimismus?
Weil man wirklich nicht weiß, wo die Reise hingeht. Ich glaube, dass wir die vierte Welle, die ja bekanntlich bereits läuft, durchstehen werden. Das auch ohne neuerliche Schließungen. Ob wir aber nächstes Jahr im Februar mit 600 Personen Arm in Arm Karneval indoor feiern, das weiß ich nicht und es scheint mir im Moment auch nicht realistisch. Ich sehe da noch keine entscheidende Richtung von der Politik.
Zum Schluss: Vor vier Jahren habe ich dich gefragt, ob es irgendwann eigenen Nachwuchs geben wird, der eines Tages alles weitermachen wird. Da hast du dich etwas mit deinem Patenkind rausgeredet. Und kleinlaut sagtest du, das wird. Wenn ich jetzt so schaue, hat dein Nachwuchs vier Beine und bellt?
(Lacht) Ja, das stimmt. Daran kann ich mich genau erinnern. Ich kann so viel sagen: Mein Patenkind macht gerade ihr Schulpraktikum bei mir. Wir kommen noch immer gut miteinander aus. Und wenn sie eines Tages Lust hat, diesen Weg einzuschlagen, wäre sie die einzige, die den Familienbetrieb weiterführen könnte … im Moment.
Wir werden es weiter beobachten. Danke und viel Glück weiterhin.
Danke dir.
INFO
Axel Bröker
Der Gastronom, Eventmanager und passionierte Skifahrer ist mit der Münsteraner Gastro- und Partyszene eng verbunden. Er ist nicht nur Ideen- und Trendgeber in einer Person. Sondern eine Type, die gerne mal auf einen Drink und Schnack mit Freunden bis in den Morgen versackt.
Autor Tom Feuerstacke / Illustration Thorsten Kambach
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview Oktober 2021
Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom