Arndt Zinkant befragt Gerd und Ritski Bracht über 40 Jahre „Die Zwillinge und die Blechgäng“
WIR HABEN DIE BEAT-ÄRA MITERLEBT
Das Etikett „Urgesteine“ wird allzu oft vergeben, doch die Musiker Gerd und Richard „Ritski“ Bracht sind in der hiesigen Szene genau das. Seit Anfang der Siebzigerjahre sind die Musiker (Markenzeichen: Gestreifter „Gefängnispulli“) unter diversen Bandnamen aufgetreten. Als „Die Zwillinge und die Blechgäng“ feiern die Brüder nun beim Kreuzviertelfest ihr 40-jähriges Jubiläum. Dabei wollten sie ursprünglich in den Schuldienst.
Auf eurer Homepage wird behauptet, Ritski sei Anfang der Achtziger der lauteste Saxophonist des Münsterlandes gewesen.
Gerd: Ist er immer noch!
Ritski: Genau, wenn ich will, kann ich es nach wie vor.
Warum ist es denn wichtig, der Lauteste zu sein?
Ritski: Ist nicht wichtig –aber ich finde es gut, laut zu sein. Ich bin eigentlich kein Jazzer, bin Autodidakt, habe erst sehr spät Musik studiert und mir meinen lauten Rocksound bewahrt. Ich spiele gerne laut und stehe auf hohe, durchdringende Töne – was Gerd nicht so liebt. Wir reden übrigens hier von der Blechgäng, da bin ich in erster Linie der Sänger, Komponist und Texter. An zweiter Stelle dann Saxofonist und Gitarrist. Tatsächlich hat mein persönlicher Sound schon viele gute Saxophon-Schüler zu mir gelockt, die genau das erlernen wollten. Bis letztes Jahr habe ich 20 Jahre lang eine der beiden WWU-Big-Bands geleitet, da waren mir Power und „Mexiko Sound“ wichtig.
Wie muss ich mir den vorstellen?
Ritski: Das musste immer klingen „wie ein Polizeiorchester aus Mexiko nach einer Kiste Tequila“. Also laut und rappelig. Das haben sich halt viele Leute gemerkt, und deshalb habe ich auch ein bisschen dieses Image. Aber ich liebe die Zwillinge-Balladen „Wir bleiben im Bett“, „Farben deiner Seele“, „Bonjour“, „Rosarote Wolken“ und „Nimm mich jetzt in den Arm“. Die drei zuletzt erwähnten Lieder sind produziert von Vincent Sorg, der vor seiner erfolgreichen Produzentenzeit elf Jahre bei den Zwillingen gespielt hat.
Wolltet ihr zunächst eine Rock-Karriere verfolgen und seid dann irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass Jazz mehr euer Ding ist?
Ritski: Das ist so nicht ganz richtig. Bei mir ist es sogar beinahe andersrum.
Gerd: Wir fingen ab Mitte der Sechzigerjahre an, Musik zu machen. Als Schülerband interpretierten wir damals die Beatles oder die Hollies. Im Grunde spielten wir jede Band nach, die dreistimmigen Gesang praktizierte. Das war so unser Ding. Dann sind wir zum Studium nach Münster gegangen, Sport und Französisch. Zu dieser Zeit haben wir dann auch mit dem Jazz begonnen.
Ritski: … und lernten einfach viele Leute kennen, die uns in die Szene hineinholten. Weil ich Saxophon spielte und Gerd Bass, tat sich ganz von alleine die Frage auf: „Könnt ihr auch Jazz?“ Die „Jazz-Universität“ gibt es übrigens schon länger als die Blechgäng.
Im Netz bin ich auf ziemlich viele Bandnamen von euch gestoßen. Der coolste lautete „Ulla Hosenträger“!
Gerd: Ja, als wir das erste Mal in dieser Formation spielten, war das ein Auftritt zur Eröffnung eines 1000-Hosen-Hauses. (Lacht) Die ganze Band trat damals tatsächlich in roten Hosenträgern auf. Das muss Mitte der Siebziger gewesen sein.
Kommen wir zum Kreuzviertelfest. Was ist für euch das Besondere daran, und was erwartet die Fans dieses Mal?
Gerd: Da wir jetzt 40-jähriges Jubiläum der Blechgäng haben, wird es eine etwa zweistündige Retrospektive geben. Mit der Blechgäng hatten wir 1984 unseren ersten Auftritt in Beckum im Stadttheater.
Ritski: Eines darf man nicht vergessen: Wir machen nur eigene Lieder, gecovert wird bei uns nichts – das ist Ehrensache. Ganz im Gegensatz zur Jazz-Universität, die ja zum Beispiel auch Klassiker von Duke Ellington spielt. Aber das ist eine komplett andere Kiste bei der Blechgäng: eigene Kompositionen, eigene Texte, eigene Arrangements. Auf die Art hat man eben Alleinstellungsmerkmale und wird nicht mehr so viel mit anderen Bands verglichen, weil das gar keinen Sinn machen würde.
Gerd: Aber auch die Jazz-Universität ist natürlich keine Cover-Band. Zum Beispiel legen wir auf bekannte Stücke ganz neue deutsche Texte. Cover-Bands versuchen ja dem Original so nah wie möglich zu kommen – was dann bisweilen auch wie ein Abklatsch wirkt.
Die Jazz - Universität gibt es länger als die Blechgang
Aber manchmal kommt man um fremde Songs nicht herum, oder?
Gerd: Stimmt auch wieder. Wenn die Leute dich nicht mehr kennen, musst du dir dein Publikum regelrecht erarbeiten. Ein Beispiel: Wir haben mal in Lüdenscheid gespielt, wo wir übrigens auch herkommen, auf einem Stadtfest mit der Blechgäng und unserem Standard-Programm. Damals stand im Vertrag, wir hätten unbedingt „Sauerland“ zu spielen. Das ist ein supergeiler Rocksong von Zoff, einer dort ansässigen Band (Gerd fängt an zu singen): „Sauerlaaand, mein Herz schlägt für das Sauerland …!“
Ritski (übernimmt): „Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen...!“ – und laut Vertrag hatten wir diesen Song ins Programm einzubauen. Die Chose lief dann so, dass wir unsere normalen Sachen spielten, aber die Sauerländer nicht so fix auf Betriebstemperatur zu bringen waren. Dann entschieden wir uns, so etwa als fünften Song „Sauerland“ einzubauen. Und ab dem Zeitpunkt gingen alle Hände hoch, die Leute waren euphorisch –und diese Stimmung hielt bis zum Ende!
Lokalpatriotismus darf man eben nicht unterschätzen!
Ritski: Ein verlässliches Zeichen, dass man es geschafft hat: Wenn die Leute irgendeinen Refrain oder eine Textzeile von dir so fest in der Birne haben, dass sie sofort mitsingen. Das bringt mich zu deiner Frage zurück, was die Fans auf dem Kreuzviertelfest erwartet: Ich freue mich darauf, dass dort ganz viele Besucher sein werden, die unsere ganzen alten Songs noch kennen. Aber keine Sorge, es wird genug Neues im Programm enthalten sein.
Gerd: Das ist absolutes Heimspiel, unser Schlagzeuger wohnt dort auch um die Ecke. Seit das Kreuzviertelfest existiert, haben wir dort immer wieder mal gespielt – mit beiden Bands. Ganz früher habe ich sogar mal in einer Wohngemeinschaft gewohnt in jenem Haus, wo die legendäre Hähnchen-Schmiede „Nordstern“ drin ist. Da haben wir ganze Nächte durchgemacht, geschlafen haben wir damals so gut wie nie. (Lacht)
Ist Münster eigentlich ein gutes Pflaster für Jazz?
Ritski: Ja, absolut. Es spielt sich hier auch sehr viel auf dem Sektor der Gebrauchsmusik ab, sprich: Auftritte bei Hochzeiten oder Firmen-Events. Das ist das eine, das andere sind Konzerte in den Clubs, und der Hot Jazz Club am Hafen ist wirklich der Hammer.
Gerd: Münsters schönster Auftrittsort war für mich allerdings stets das alte „Midi“, das französisch-kultige Lokal im Erphoviertel. Die beste Kneipe der Welt! Dort habe ich so gerne gespielt – leider, leider gibt es das nicht mehr.
Nochmal zum Thema Lokalpatriotismus: Vor einiger Zeit habe ich Detlev Jöcker interviewt, der ja den Song „Münster, ich liebe dich“ geschrieben hat. Gibt’s von euch eine ähnliche Liebeserklärung?
Gerd: Ja, der Song hieß „Heimatland“ und war der Hammer.
Ritski singt: „Heimatlaaand, dädädädäää, die Mädchen viel schöner, die Gläser viel größer als anderswo …“
Gerd übernimmt: „Münster ist ne schöne Stadt, die auch ein‘ Bürgermeister hat. Von alle Mann ist er der Meister, Kleister schmeißt er, dann heißt er Kleister-Schmeißer …“, oder so ähnlich! (Lacht)
Ritski: Also richtig schön witzig und bescheuert! Die Nummer ist mindestens 30 Jahre alt.
Ritski wollte immer Profi-Musiker werden
Aber eure Schelmen-Texte schreibt nur Ritski, oder?
Gerd: Anfangs habe ich auch welche geschrieben, aber mittlerweile macht Ritski die meisten. Früher kamen sie in der Tat immer schelmisch daher, mittlerweile ist das nicht mehr ganz so.
Ritski: Schelmisch finde ich meine Texte überhaupt nicht. Auf jeden Fall möchte ich, dass sie immer positiv rüberkommen. Vorbilder habe ich nicht. Wenn du Lindenberg super findest, darfst du nicht versuchen, so etwas nachzuahmen. Das ist immer doof. Ich brauche lange für meine Texte, und wenn ich sie dann durchlese oder ich sie singe, denke ich oft: Das klingt ja nach Udo oder wie Stoppock. Dann muss ich noch mal ran und weiterdichten.
Was inspiriert dich? Nehmen wir mal ganz konkret den Song „Scheiße passiert“ …
Ritski: Kann ich dir genau sagen. Das war damals die Zeit, als Stefan Raab auf der Erfolgswelle schwamm. Der konnte machen, was er wollte – es wurde immer ein Hit. „Maschendrahtzaun“ und so weiter. Da konnte man schon neidisch werden, vor allem weil unsereins ja sehr lange an einem Text herumbastelt, Zeile für Zeile. Damals dachte ich: „Dieser Kerl kann auf den Teller kacken, und dann wird das ein Hit!“ (Lacht) Das war die zündende Idee für diesen Song. Habe ich damals einfach mit der Gitarre runtergesungen.
Ursprünglich wolltet ihr mal Lehrer werden, oder?
Gerd: Ja, wir haben sogar unsere Referendarzeit absolviert. Und ich hätte tatsächlich gerne diesen Beruf ergriffen. Ritski dagegen wollte immer gern Profi-Musiker werden. Alles in allem haben wir die Karriere nicht wirklich geplant. Dass aus uns beiden dann doch Musiker geworden sind, hatte auch viel mit der damaligen Lehrer-Schwemme zu tun. So etwa um 1983 herum wurden ja keine Lehrer mehr eingestellt.
Also nichts zu bereuen?
Ritski: Absolut nichts. Ich wäre in jedem Fall Musiker geworden, auch wenn mir Lehrerstellen angeboten worden wären. Musiker sein ist manchmal anstrengend, die Pension wäre viel angenehmer als meine heutige Musikerrente. Aber jeden Tag ins Lehrerzimmer? Sie war schon gut so, die Entscheidung. Statt Lehrerberuf nun 40 Jahre die Zwillinge und die Blechgäng – da ist doch klar, wo die Leidenschaft sitzt.
Gerd: Wir haben insgesamt so viel Schwein gehabt, hatten zum Beispiel keinen Krieg. Wir haben in den sechziger Jahren sogar noch die Beat-Ära mitgemacht – eigentlich sogar mit-gelebt! Dann kam der Jazz dazu, musikalisch läuft alles super bis heute. Ich habe eine große Familie mit sieben Enkeln, auch das bereichert mein Leben ungeheuer.
GERD UND RITSKI BRACHT
Die Zwillinge Gerd und Richard Bracht kamen 1950 in Lüdenscheid zur Welt. Von 1972 bis 1979 studierten sie Romanistik und Sport an der WWU Münster und der Université Lille in Frankreich. Danach absolvierten sie ihr Referendariat. Gerd gründete im Folgenden sein eigenes Studio in Münster. Die Band „Die Zwillinge und die Blechgäng“ wurde 1983 mit Klaus Schneider gegründet. Ihr Kennzeichen sind schwarz-weiße Ringel-T-Shirts. 1992 spielten sie in Münster ein Konzert vor 20000 Zuhörern. 2001 gründeten die Brüder „Die Zwillinge Jazz-Universität“, eine Jazzband mit eigenen deutschen Texten.
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Die Jazz Zwillinge