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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Heike und Kersten erklären Stephan Günther, warum Berührung wichtig ist

KOMM KUSCHELN

Es ist eines der wichtigeren Bedürfnisse im Leben. So ziemlich jeder mag sie, natürlich auf seine völlig individuelle Art. Viele, wenn nicht sogar zu viele, vermissen sie. Es geht um die Berührung. Dabei sind Berührungen so wichtig. Ein spannendes Thema. Wir haben mal ein ganz besonderes Paar aus Münster herausgesucht, welches eine gewisse Expertise dazu aufweist: Heike und Kersten. Die beiden bieten in ihrem Yoga-Studio, der Casa Karuna, seit einiger Zeit Kuschelpartys an. Was erst einmal ein wenig schräg klingt, hat aber einen wirklich schönen Hintergrund. Mehr dazu erzählten uns die beiden im Interview.

Kuscheln, habt ihr da euer Hobby zum Beruf gemacht?


(Lachen) Nicht wissentlich zumindest.


Unwissentlich? Erzähl …


Kersten: Ich habe vor einiger Zeit einen Workshop mit dem Thema „Persönlichkeitsentwicklung“ besucht. Dort gab es eines Abends das Angebot „Kuscheln“, welches meine Neugier weckte. Ich habe teilgenommen und war total baff und erstaunt, wie das die Menschen verändert hat, mich eingeschlossen. Man hätte die Gesichter einmal vorher und nachher fotografieren müssen.


So krass der Unterschied?


Ja, vorher sahen viele komplett verspannt und müde aus, hinterher das komplette Gegenteil. Glücklich-weiche Gesichter mit einem Lächeln. Es hat mich so geflasht, da dachte ich mir, das musst du irgendwie in die Welt bringen.


Dann fing alles an?


Ich habe mich sofort im Internet schlau gemacht, ob Kuschelpartys in Münster bereits existieren …


Taten sie das?


Nein, das gab es bis dahin nicht. Dies war dann für uns die Initialzündung und wir haben das in unser Angebot mit aufgenommen.


Ist das eigentlich euer Hauptberuf?


Nein, wir haben beide noch einen anderen Beruf.


Was macht ihr da?


Heike: Ich arbeite bei einer großen Versicherung in Münster, zusätzlich bin ich noch Atem- und Entspannungspädagogin und Yogalehrerin.

Kersten: Ich habe einen Bürojob und nebenbei zahlreiche Massageausbildungen absolviert. Ich liebe einfach Berührungen.


Wie kamst du zum Kuscheln, Heike?


Vor über zehn Jahren bin ich an einem Burn-out erkrankt und war zur Behandlung in einer Klinik. Dort haben sie das Kuscheln angeboten. Kersten und ich sind jetzt seit acht Jahren zusammen. Als er mich fragte, ob ich die Kuschelpartys mit ihm zusammen anbieten möchte, sagte ich sofort: Ja!


Kersten, du sagtest gerade, dass du Berührungen liebst. Kannst du vielleicht mal erklären, warum und was Kuscheln so wichtig und gut macht?


Kersten: Kuscheln ist ja auch eine Form der Berührung. Menschen berühren sich oder andere ja aus ganz verschiedenen Gründen oder Anlässen. Zum Beispiel zum Trost, zur Selbstwahrnehmung oder zur Regulation. Körperkontakt und Zärtlichkeit sind ein menschliches Grundbedürfnis. 15 Minuten täglich machen sich auf Dauer schon bemerkbar, um die positive Wirkung wahrzunehmen. Ein Streicheln oder eine Umarmung wirken sofort.


Was sind denn die „Spätfolgen“ von Kuscheln? Besser gefragt, wie wirkt sich das dauerhaft positiv aus?


Kersten: Vorweg: Sobald ein Mensch berührt wird, löst dies einen Reiz aus, der im Körper wahrgenommen wird. Diese Informationen gehen dann direkt an das Gehirn weiter, welches die Hormone Oxytocin und Dopamin ausschüttet. Das kann sich auf viele Dinge dauerhaft positiv auswirken. Senkung von Blutdruck und Puls, Stärkung des Immunsystems, Stressabbau und natürlich die Verbesserung des allgemeinen Wohlgefühls. Das Ganze könnte ich noch viel weiter ausführen. Es zeigt jedoch deutlich: Berührungen sind superwichtig für uns Menschen.


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Geborgenheit und Kuscheln geht oftmals Hand in Hand

Wie sehr ausgeprägt ist deine Liebe zu Berührungen?


Kersten: So sehr, dass ich „Free Hugs“ gebe …


Davon habe ich schon einmal gehört …


Ja, ich stelle mich dann mit einem großen Schild, auf dem „Free Hugs“ (kostenlose Umarmungen, die Red.) steht, auf den Markt oder an den Domplatz und umarme fremde Menschen.


Genial, ich finde so was super! Habt ihr schon immer ein Faible für solche Themen wie Yoga etc.?


Heike: Wie vorhin erwähnt, bin ich seit vielen Jahren ausgebildete Yogalehrerin. Durch eigene Beschwerden im Rückenbereich habe ich Linderung im Yoga erfahren. Davon war ich so fasziniert, dass ich die Ausbildung absolvierte.


Das ging schnell!


Durch die Ausbildung war ich gezwungen, täglich Yoga-Übungen zu machen. Und: Was bei mir hilft, hilft auch anderen Menschen.


Und wie kamst du von Yoga auf Berührungen?


Ach, das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun. Die Berührungen hatte ich in der Klinik kennengelernt. Als Atem- und Entspannungspädagogin habe ich zehn Jahre auf Palliativstationen im Münsterland gearbeitet. Dort habe ich festgestellt, dass Berührung ein großes Thema ist.


Ist das so?


Bei Angstzuständen oder Atemnot bin ich oft in die Berührung gegangen, um dem Menschen zu sagen: „Ich bin da. Ich bin bei dir“. Sobald die Menschen Berührungen erfahren, werden sie ruhiger und entspannen sich. Somit kommen sie aus ihren Ängsten oder aus einer Atemnot heraus. 


Steckt da auch Esoterik hinter oder mit drin?


Nein, als Esoterik würde ich das nicht bezeichnen. Man sagt ja beim Yoga immer „Körper, Geist und Seele“, aber das ist keine Esoterik, sondern Selbstvorsorge. Self Care, wie man heute wohl sagt. Beim Kuscheln ist es im Prinzip dasselbe. Wir haben hier Teilnehmer im Alter von 20 bis 75, viele davon kommen immer wieder. Die Menschen kommen mit Freude und kommen so ein Stück aus der Einsamkeit heraus. Das ist auch ein Stück Self Care.


Interessant!


Kersten: Hauptsächlich besuchen Singles unsere Kuschelpartys. Wir leben in einer berührungsarmen Zeit. Die TeilnehmerInnen tanken bei uns Kuschelenergie auf. Wir Menschen sind allgemein nicht darauf ausgelegt, allein zu leben. Anthropologisch gesehen sind wir alle Herdentiere. Wir sehnen uns nach Gemeinschaft, nach „Angenommensein“ in einer Gruppe. Früher sind wir als Volk von Lagerfeuer zu Lagerfeuer gezogen, haben uns drumherum gekuschelt und zwei bis drei Leute haben Wache gehalten.


Lagerfeuer, klingt ja schon gemütlich. Guter Vergleich.


Heike: Wenn man es dann auf den Kuschel-Abend bei uns überträgt, übernehmen Kersten und ich den Part des Wachens. Das Kuscheln bleibt in der Absichtslosigkeit. Die Regeln, dass die Bikinizone unberührt bleibt, keine Küsse ausgetauscht werden und nur auf der Kleidung berührt wird, sind uns wichtig. Wir wollen, dass die Menschen sich bei uns sicher fühlen. Manchmal liegen die TeilnehmerInnen wie Löffelchen aneinander, oder auch als ein großer Kuschelhaufen. Gelegentlich berühren sich zart die Hände. Manchmal liegen die TeilnehmerInnen nahe beieinander und tun nichts. Nur sich spüren. Wärme austauschen. Wohlbefinden spüren. 


Wie stelle ich mir so einen Abend vor, vom Ablauf her?


Da es eine Kuschel-Party ist, haben wir Tee, Wasser, Schoko und Kekse bereitgestellt. Die TeilnehmerInnen können durch Gespräche in Kontakt kommen und es ist eine aufgelockerte Atmosphäre. Kersten und ich haben in unserem Seminarraum viele Matratzen auf dem Boden verteilt und wir setzen uns dann in einen Kreis. Wir stellen uns mit Namen vor, teilen uns mit, ob wir bereits Kuschelerfahrungen haben oder ob Ängste oder Befürchtungen bestehen und fragen die TeilnehmerInnen, mit welchem Gefühl sie nach Hause gehen wollen.


Und dann wird drauflos gekuschelt?


Das Kuscheln darf noch etwas warten. Viele Menschen kommen mit Ängsten, Unsicherheiten oder Befürchtungen. Sind diese ausgesprochen, ist die erste Aufregung vorbei. Dann werden die Regeln – wie bereits oben beschrieben – erklärt und wir starten mit einer kleinen Meditation zum Ankommen. Danach legt Kersten flotte Musik auf. Wir tanzen, lachen und kommen auf diese neue Art und Weise in Kontakt miteinander. Bevor es dann ans Kuscheln geht, machen wir noch ein kleines Warm-up.


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Jeder kommt einmal mit dem Anderen in Kontakt

Ein Warm-up? Was war denn dann die erste halbe Stunde?


Die erste halbe Stunde haben wir dazu genutzt, uns kennenzulernen, etwas aufzutauen. Gerne machen wir im Warm-up Begegnungsspiele. Das kannst du dir folgendermaßen vorstellen: Wir teilen die TeilnehmerInnen in zwei Gruppen ein. Eine Gruppe steht in der Mitte und hat die Augen geschlossen. Die andere Gruppe geht zwischen den Menschen hindurch und verschenkt Berührungen. Sanftes Streicheln am Arm, Hände auf den Schultern auflegen, eine leichte Rückenmassage. Wir machen einige Spiele, teilen die Leute beispielsweise in zwei Gruppen auf. Die eine Gruppe in der Mitte, die andere drumherum. Wir stellen dann Musik an und die Gruppe in der Mitte läuft einfach mit geschlossenen Augen zwischen den anderen her und berührt sie. So, dass jeder einmal mit dem anderen in Kontakt gekommen ist. Anschließend gibt es dann erst mal eine Pause. Wie es sich für eine Party gehört, gibt es dann auch entsprechende Snacks.


Ihr lasst es also behutsam angehen, und die Leute erst mal ankommen und sich gewöhnen?


Ja, es ist uns wichtig, dass das Tempo des Alltags herausgenommen wird. Nach einer Pause legen sich die TeilnehmerInnen auf die Kuschelwiese, erst auf den Rücken und dann auf die Seite. Da wir nicht mitkuscheln, können wir von außen diese Sequenz anleiten. Du kannst dir das so vorstellen, dass beispielsweise alle auf der Seite liegen und du legst deinem Vordermann/deiner Vorderfrau eine Hand auf die Schulter und nimmst so Kontakt auf. Berührst den Rücken, den Arm. Mal langsam und sanft, mal mit etwas mehr Druck. Ist der Kontakt hergestellt, geht es von da aus ins freie Kuscheln über.


Solange man möchte?


Irgendwann müssen wir ja auch mal ins Bett. Wir fangen um 17.30 Uhr an und um 21.30 Uhr endet der Abend. Zum Abschluss versammeln wir uns noch einmal im Kreis und halten uns an den Händen. Wir haben an diesem Abend so wundervolle Energie getankt, wie zum Beispiel Wärme, Ruhe, Frieden, Gelassenheit. Kersten zählt einen Countdown an und wir werfen dann alle diese wunderbare Energie symbolisch in die Welt.


Ich muss sagen, ich habe beim Zuhören schon geistig mitgekuschelt und bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch und die Einblicke, Heike und Kersten!


Kersten, Jahrgang 62, und Heike, Jahrgang 64, lieben es, Menschen in Kontakt zu bringen, Berührung in die Welt zu bringen und Räume in Gemeinschaft zu eröffnen.
Kersten ist ein ausgeglichener, entspannter Mensch. Es bringt ihn kaum etwas aus der Ruhe. Seine Leidenschaft ist es, Menschen miteinander zu verbinden und ein Feld für Nähe und Geborgenheit zu schaffen.
Heike ist ein Bewegungs-Mensch, heißt, sie hat „immer“ etwas zu tun und ist mit Volldampf unterwegs. Sie ist froh, dass Kersten an ihrer Seite ist, um sie zu bremsen. Sie ist im Hahta- und Yin-Yoga zu Hause. Ihre Leidenschaft ist es, Menschen aus der Negativität heraus und in ein positives Leben zu begleiten. Sie hat zehn Jahre auf den Palliativstationen als Atem- und Entspannungspädagogin gearbeitet. Diese Arbeit hat ihr die Augen für das Leben geöffnet.

www.kuschelnest-muenster.de

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Privat

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