top of page
Heinz-Erhardt-Revue_Billboard_960x180px.jpg
2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Emma Klattenhoff im Gespräch mit Matthias Dörmann aka Liberty Lestrange

FREMDE FREIHEIT

2,30 m groß, mit Perücke und High Heels. Dazu extravagante Kleidung, große Oberweite und perfektes Make-up. Dragqueens oder Kings gehören zur bunten Landschaft der LGBTIQ-Gemeinschaft. Die münsterische Dragqueen Liberty Lestrange hat wie viele ein großes Ziel: Für Diversität und Vielfalt einstehen, in der Hoffnung, dass das, was heute als außergewöhnlich gilt, irgendwann nicht mehr der Rede wert ist. Was genau in dem Kopf der Person hinter der schillernden Kunstfigur vorgeht, erzählt Matthias Dörmann. Sein Weg vom Diakon auf dem Land hin zum laufenden politischen Statement.

Du hast ein Alter Ego, eine Dragqueen namens Liberty Lestrange. Wie ist es dazu gekommen?


Liberty ist entstanden, als ich damals aufgehört habe, in der Kirche als Diakon zu arbeiten, weil ich meinen Mann kennengelernt habe. Man kann zwar Teil der Landeskirche als schwuler Mann sein, aber ich war in einer freien Gemeinde tätig. Und da ging das gar nicht. Ich glaube nicht, dass ich von meinen Kolleg:innen ernst genommen worden wäre. Also habe ich gekündigt und bin nach Münster gekommen. Hier wollte ich ehrenamtlich in Gemeinden mitarbeiten. Aber alle haben mir abgesagt, weil ich mit einem Mann zusammen bin. Dann habe ich mir gedacht: Da muss ich was machen, ansonsten wird Homosexualität nie zum Thema in der Kirche. Ich habe mir überlegt, dass der Auftritt als Dragqueen eine gute Methode ist. Dann sehen die Leute direkt, dass die Person queer ist. Über soziale Medien habe ich auch eine Plattform, um Menschen zu adressieren und ein Bewusstsein für die veralteten Umstände in der Kirche zu schaffen.


Wie waren die Reaktionen darauf?


In meiner Heimat wurde ein Zeitungsartikel veröffentlicht, als ich regelmäßig als Liberty aufgetreten bin. Darin ging es auch um meine Erfahrungen mit der Kirche. Daraufhin kam aus der Gemeinde, in der ich groß geworden bin, viel Kritik. Der Diakon dort hat erzählt, dass sie gerade das Thema Homosexualität anschneiden wollten und das jetzt nicht mehr könnten, weil es jetzt gerade so hochgekocht sei. Das war Jahre nach meiner Kündigung, bei der ich meine Homosexualität öffentlich gemacht habe. Jahre später sollte das auch mal zum Thema werden …


So ein Zeitungsartikel wäre auch ein Anreiz, um genau dann das Thema anzusprechen.


Genau. Es gab auch noch einen NDR-Beitrag. Daraufhin waren die Reaktionen ganz anders. Ein anderer Diakon, mit dem ich früher hauptamtlich zusammengearbeitet habe, hat ein Interview mit mir geführt und war total positiv gestimmt. Auch von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen kam viel positive Rückmeldung.


Wie ist dein Verhältnis zur Kirche heute?


Inzwischen bin ich aus der Kirche ausgetreten. Das habe ich lange nicht gewollt, weil ich dachte, dass ich eben mit dazu gehöre. Aber durch die Kirche wusste ich viel zu wenig über die queere Gemeinschaft und habe mich daraus ferngehalten. Ungefähr 16 Jahre habe ich versucht, meine Homosexualität zu unterdrücken. Es hat Jahre gedauert, bis ich nicht mehr gedacht habe: Das ist eine Sünde, dass ich mit einem Mann zusammen bin. Erst als ich die queere Gemeinschaft kennengelernt habe, habe ich gemerkt, wie viel Diskriminierung in der Kirche steckt. Nicht nur gegenüber schwulen und lesbischen Menschen, sondern auch gegenüber Trans und nicht binären Personen, Frauen und vielen mehr. Aber wenn ich jetzt meine queere Gemeinschaft anschaue, bin ich für die immer richtig, egal wie ich bin. Und so war das in der Kirche nicht.

probe1.jpg

Hattest du schon immer das Bedürfnis, in eine andere Rolle zu schlüpfen?


Nein, überhaupt nicht. Ich dachte nicht, dass das funktioniert, wenn ich das mache. Ich habe davor nie mit Make-up gearbeitet und Kunst war nicht mein Fach in der Schule. Aber ich habe damals „RuPaul’s Drag Race“ geschaut und dann dachte ich mir: Okay, das will ich auch probieren.


Und dann?


Ich habe das ausprobiert und mit viel Übung hat alles ganz gut geklappt. Dann habe ich gemerkt, dass das Wichtigste an Liberty ist, dass sie wie eine Art Schild für mich ist. Wie eine Projektionsfläche, auf die ich eben Probleme und Botschaften projizieren kann. Und wenn Leute Kritik äußern, dann bleibt die bei der Kunstfigur und kommt gar nicht an mich als Person heran. Dadurch bin ich deutlich stärker geworden. Ich glaube, das ist auch eines der Kernanliegen von Drag.


Wie kam es zu dem Namen Liberty Lestrange?


Es hat ewig gedauert, einen passenden Namen zu finden. Ich sage immer, dass ich eine Statement-Queen bin, weil ich immer etwas zu sagen habe. Also brauchte mein Name eine klare Botschaft. Dann habe ich online gefunden, dass das Wort „lestrange“ so etwas wie „fremd sein“ bedeutet. Liberty Lestrange heißt also für mich „die fremde Freiheit“. Und genau das ist die Figur für mich. Sie gibt mir die Freiheit zu sein, wer ich bin, ganz kompromisslos Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen. Und das alles mit dem Schutz der Kunstfigur.


Am Anfang richteten sich deine Botschaften klar gegen die Diskriminierung queerer Menschen in der Kirche. Wie hat sich das weiterentwickelt?


Insgesamt werbe ich für mehr Diversität und Toleranz. Besonders wichtig ist es mir, Gruppen in der queeren Gemeinschaft zu unterstützen, die noch am wenigsten Rechte für sich erkämpfen konnten. Das sind zum Beispiel die Rechte von Trans und nicht binären Personen. Da geht es um Fragen wie: Was sind die Anliegen dieser Menschen? Welchen Herausforderungen müssen sie sich im Alltag und im Leben stellen? Was macht diese Menschen aus? All diese Dinge bringe ich in Gesprächen mit. In Shows und manchen Sketches geht es auch darum, was Geschlechtergrenzen sind und wie sie gesellschaftlich aufgebaut werden. Darum geht es meistens im Drag.

probe1.jpg

Ich dachte, es sei eine Sünde mit einem Mann zusammen zu sein

Inwiefern?


Mit meiner Kunstfigur stelle ich weibliche Attribute dar und überspitze sie. Dabei möchte ich zeigen, dass die ganzen Dinge, an denen wir Geschlecht festmachen, flexibel und wandelbar sind. Die getrennte Betrachtung von den Kategorien männlich und weiblich ist Quatsch. Ich kann beides sein. Und das betrifft nicht nur Drag, sondern auch den Matthias im Alltag. Ich trage zum Beispiel ein Kleid oder einen Rock, wenn eine Hose eben nicht praktisch ist. Ich arbeite als Tagesvater und es ist mir wichtig, dass die Kinder von Anfang an lernen, dass es diese Geschlechtergrenzen nicht gibt.


Welche Rückmeldung bekommst du bei der Arbeit, wenn du erzählst, dass du nebenberuflich Dragqueen bist?


Nur positive. Ich erzähle das immer. Ich finde es wichtig und interessant zu sehen, wie die Eltern reagieren. Und außerdem nehme ich mir manchmal frei, wenn ich für etwas Interessantes gebucht werde oder die Zeit zum Schminken nach der Arbeit nicht reicht. In Absprache mit den Eltern habe ich mich schon mal in der Mittagspause angefangen zu schminken. Da hatte ich gerade all die Konturen von meinem Gesicht entfernt und nur die Augenbrauen neu gemalt. Und dann wacht das erste Kind auf und sagt: „Matthias, du siehst aus wie ein Pferd“. Danke, das war nicht mein Ziel.


Empfindest du Münster generell als offen für die queere Bewegung?


Ja, die Stadt an sich schon. Aber ich sage auch immer, dass die Menschen in Münster zu höflich sind, um mich zu diskriminieren. Ich wohne in einer etwas gehobeneren Straße. Wenn ich da in Drag aus dem Haus komme, versuchen die Leute angestrengt nicht zu starren. Sobald ich an ihnen vorbeigelaufen bin, bleiben sie stehen und drehen sich um. Das ist für mich Münster. Die Leute sind höflich und gleichzeitig doch neugierig und möchten starren.


Du machst queergeschichtliche Stadtführungen. Was ist dein queerer Lieblingsfakt über Münster?


Natürlich, dass wir den ersten CSD Deutschlands veranstaltet haben. Letztes Jahr hatten wir 50. Jubiläum. Aber auch, dass aus Münster die erste lesbische Frau kam, die sich mit Namen und Bild öffentlich geoutet hat. Außerdem gibt es eine historische Geschichte über eine Transperson um 1600. Das zeigt, dass queere Menschen schon immer unter uns gelebt haben. Queerness ist eben kein neuzeitliches Phänomen.

Matthias Dörmann
Matthias (Matze) Dörmann (heute 33 Jahre alt) ist selbstständiger Tagesvater. 2018 trat er das erste Mal als die Kunstfigur „Liberty Lestrange“ auf. Seither macht er durch Drag auf Diskriminierung innerhalb der Kirche aufmerksam. Außerdem propagiert er durch Liberty Lestrange Toleranz für Vielfalt in allen Lebensbereichen. 2021 gründete er mit vier weiteren münsterischen Dragqueens das House of Blænk.

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Armin Zedler

Junge Köpfe.gif
bottom of page