Thorsten Kambach trifft Peter Overschmidt am Steg mit heißem Tee und schönen Erinnerungen
LAND IN SICHT
Heute treffe ich mich mit Peter Overschmidt. Wir sind etwas spät im Jahr, die Segelsaison ist fast vorbei, doch ich wollte ihn gerne noch sprechen, da dieses Jahr für die Segelschule Overschmidt ein ganz besonderes ist: Sie hat Geburtstag und wird stolze 75 Jahre alt. Peter ist schon seitdem er geboren wurde fester Bestandteil davon und heute schaut er ein wenig mit mir zurück – und nach vorne.
Peter, herzlichen Glückwunsch zu 75 Jahren Segelschule Overschmidt. Du warst die ganze Zeit dabei – schon als kleiner Junge. Was ist deine erste Erinnerung daran?
Unser Haus am See! Das stand da, wo heute die Aaseeterrassen sind links neben dem A2. Dort habe ich gewohnt. Als kleiner Junge paddelte ich oft mit dem Paddelboot rüber zur Schule und nachmittags zurück zu Mama und Papa, damals gab es die Antonius-Volksschule noch. Das war eine schöne Zeit – ich weiß noch, wie mein Vater, Heinz Overschmidt, damals immer die Paddelboote gebaut hat.
Es gab nur Paddelboote?
Erst ja, später kamen die ersten Piraten, also die ersten Jollen, dazu.
Hat dein Vater die auch gebaut?!
Ja, mit einem Kumpel zusammen, der Schreiner war. Aber nicht hier, sondern drüben auf der anderen Aaseeseite im Pluggendorf-Viertel, da haben die beiden zusammen gezimmert.
Wie sah es hier damals aus, war schon so viel los wie heute?
Viel mehr! Zu der Zeit gab es in Münster kaum Veranstaltungen. Dementsprechend war es am Aasee voller. Ein Beispiel: Der Segelclub Münster hat seinerzeit immer richtig große Schiffstaufen gemacht. An eine davon erinnere ich mich besonders, die fand Anfang der 50er Jahre da hinten bei den Treppen statt.
Bei den Kugeln?
Ja, aber damals gab es die noch nicht. Jedenfalls wurden dort die Schiffstaufen durchgeführt. Die Männer, alles Segler vom Club und natürlich auch mein Vater, segelten zunächst das zu taufende Boot rüber und standen dann sauber aufgereiht, in leuchtendem Weiß, nebeneinander mit Kapitänsmützen auf dem Kopf und salutierten. Zu beiden Seiten des Sees gab es einen riesigen Auflauf an Menschen, dazu laute Blasmusik und das Beste: Die Botschafterin von Indonesien war da und taufte die Boote!
Warum tauft die Botschafterin von Indonesien Segelboote in Münster?
Das weiß ich doch nicht, ich war fünf Jahre alt! Was ich aber weiß: Das hat mich als kleinen Jungen stark beeindruckt.
Hast du damals schon gesegelt?
Ja, seit zwei Jahren, ich muss so drei gewesen sein, als ich anfing. Natürlich zu Beginn mit meinem Vater. Aber immer nur bis zur alten Torminbrücke. Denn der neue Teil vom See war ja noch nicht da. Dahinter war nur das schmale Flussbett der Aa. Als Koten bin ich oft dahin gepaddelt, das war ein Abenteuer … Auch dann in der Schulzeit, da bin ich mit Freunden überall rumgepaddelt.
Gepaddelt? Du bist doch Segler.
Thorsten, wie sollte ich denn mit einem Segelboot hinter die Brücke kommen? Du kennst das doch (lacht). Nachdem ich mit drei begonnen hatte, kam also zunächst aus Entdeckerlust meine Paddelphase, das Segeln musste warten. Als ich aber dann wieder mit dem Segeln begann, bin ich auch direkt in den Segelclub Münster eingetreten, dem ich bis heute sehr freundschaftlich verbunden bin. Denn nur als Clubmitglied konnte ich Regatten segeln.
War dein Vater auch schon so früh dem Wasser verbunden?
Nein, überhaupt nicht. Das begann erst mit dem Pachten des Aasees, da war er 24. Bis dahin: wassersportfremd; er war technischer Zeichner. Damals nach dem Krieg haben die Menschen überall nach Möglichkeiten gesucht, um sich eine Existenz aufzubauen, so wie mein Vater eben auch.
Wann bist du in die Segelschule eingetreten?
Da war ich auch 24. Aber zuvor bin ich zur See gefahren. Ich war bei der Handelsmarine; darauf lege ich großen Wert! Erst Grundausbildung auf einem Schulschiff, danach dreizehn Monate auf einem Segelschulschiff.
Auf einer romantischen Windjammer?
Etwas kleiner, auf der Seute Deern, einem Topsegelgaffelschoner. Dort habe ich die Seemännische Ausbildung bis zur Gesellenprüfung, was früher die Matrosenprüfung war, gemacht.
Klingt sehr romantisch.
Ich fand das auch sehr romantisch. Nachts auf dem Deck oder wenn man zu spät an Bord war und zur Strafe für 30 Leute Kartoffeln schälen durfte … Aber es war nicht nur romantisch, sondern auch richtig kalt, wenn wir hoch oben im Norden gesegelt sind.
Gab es mal richtig Sturm, hast du dabei Angst gehabt?
Es gab Stürme, aber so richtig Angst, nein, segeln war mir vertraut. Erst später hatte ich große Angst, und die hat mich auch gleich für immer geerdet. Wir waren mit einem großen Handelsschiff unterwegs, 200 Meter lang, und gerieten eines Tages in einen Taifun, das war zwischen Indonesien und Malaysia. Wir tauchten tief in die Wellen ein, so tief, dass mein Atem fast aussetzte. So tief, dass unser Kapitän sagte, Schwimmwestenpflicht für alle. Da bekam ich Muffensausen. Wenn die Welle kommt und ein 200-Meter-Schiff eintaucht, abtaucht, langsam wieder auftaucht – das sind unvorstellbare Bilder, mit YouTube nicht zu vergleichen. Der Sturm dauerte so zehn Stunden und ist mir bis heute präsent. Wenn ich heute an einer Küste stehe und Sturm zieht auf, bin ich immer sehr froh, an Land zu sein. Deswegen kann ich auch nicht verstehen, wenn Freizeitsegler bei Windstärke 6 noch aus dem Hafen gehen! Die Profis, die machen das galant, aber alle anderen? Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln.
Da ist es, das Haus am See – man kann schlechter aufwachsen
Dabei bist du selber Profi.
Ja, eben. So sehr, dass ich weiß, ich würde mich nicht mit Boris Herrmann oder so vergleichen. Wenn du so einen Sturm erlebt hast, bist du geläutert, dann weißt du, was die Natur kann.
Solche Stürme haben wir auf dem Aasee zum Glück nicht. Wie war es hier, als du angefangen hast?
Zu der Zeit habe ich vom See und dem Drumherum nicht viel mitbekommen. Ich war wenig hier, studierte an der Seefahrtschule, heute Hochschule für Nautik. Danach habe ich erst noch in sechs Semestern mein Kapitänspatent gemacht und die ein oder andere Fahrt als Urlaubsvertretung – da war ich dann schon nautischer Offizier. Und ich studierte noch zwei Semester Jura und BWL bis mein Vater mich zu sich rief und sagte, ich solle die Segelschule übernehmen, mit seinem Herzen, das klappt nicht mehr so. Mein Vater war noch von der alten Schule und da war das, was der sagte, Gesetz und ich immer sehr folgsam. So übernahm ich 1973 die Segelschule.
Mit 24 – so wie dein Vater.
(Schmunzelt) Stimmt, habe ich noch nie drüber nachgedacht.
Der war damals nicht mal Segler, du hingegen gut ausgebildet. Hast du eigentlich auch mal über die Strenge geschlagen, also bist du tätowiert, wie es sich für einen guten Seemann gehört?
Zunächst, Thorsten, ich habe natürlich nie über die Strenge geschlagen und falls doch, würde ich es dir jetzt selbstverständlich nicht sagen. Aber zur Tätowierung: ich habe keine. Auf dem Segelschulschiff war das mehr oder weniger verpönt. Ich hatte auch keine langen Haare. Aber dafür immer schon den Schnurrbart. Also eher weniger das Seemannsklischee – obwohl, fast wäre es passiert, in Hongkong. Ich war unterwegs mit drei Matrosen und der Abend war sehr lustig, bis ich irgendwann auf dem Stuhl eines Tätowierers landete.
Das war bestimmt nüchtern, oder?
Die Frage beantworte ich selbstverständlich auch nicht. Jedenfalls konnte ich noch aufspringen und weglaufen. Ich bekam plötzlich Muffe, als ich merkte, die Tätowierung wäre für immer.
Hattest du bei der Übernahme der Segelschule einen Plan, was du mit ihr anfangen willst?
Ich hatte tatsächlich einen Plan. Darauf bin ich auch sehr stolz, möchte ich sagen. Eine der ersten Amtshandlungen war der Kauf von fünf Optimisten. (Anm.: Das sind diese niedlichen kleinen Segelboote für Kinder ab 6, kennst du vom Aasee, die segeln da häufig wie Enten hintereinander her!)
Wollte dein Vater keine?
Nein, Optis kamen nicht infrage, das gab es bei uns nicht und war nie ein Thema. Aber ich wollte immer Kinder ans Segeln heranführen. Deshalb habe ich am ersten Tag gleich fünf Optis gekauft. Und schau dir an, was hier heute los ist! Ich bin sicher, dass wir eine der größten Kindersegelschulen Deutschlands sind – und mit großem Stolz kann ich sagen: Das war mein Verdienst. Das Zweite, was ich getan habe, war, unsere Auslandsbetriebe zu schließen und die Partner in die Selbstständigkeit zu überführen, damit sie ihre Segelschulen eigenständig weiterführen konnten.
Also mit Anstand verkleinert?
Mit Anstand auf das Wesentliche konzentriert. Ich war und bin der Meinung, dass ich vor Ort sein muss, um die Schule voranzubringen, ich empfinde mich da als Motor und der war ich nun mal in Münster.
Rechts im Bild: der kleine Peter
Ähneln sich die Menschen, die segeln, über die ganzen Jahrzehnte oder sind Segler immer einfach Segler geblieben?
Mein Ziel war immer, dem Segeln das Elitäre zu nehmen. Ich wollte, dass jeder segeln kann. Früher war das Segeln viel hochgestochener als heute, und das wollte ich ändern. Darum haben wir viel mit der Uni zusammengearbeitet oder auch den Alexianern. Ich war segeln mit einer Gruppe von Autisten, was eine völlig tolle und spannende Erfahrung war und mich für immer dafür begeisterte, so etwas auszubauen. Eben alle teilhaben zu lassen an diesem glücklich machenden Sport.
Gibt es auch Seniorensegeln?
(Lacht) Das war immer mein Traum. Ich hatte sogar einen Namen dafür: Silver Sailing. Denn natürlich bringen wir nicht nur Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen das Segeln näher, sondern auch älteren Menschen. Oft können sie gar nicht glauben, dass sie im hohen Alter noch etwas Neues erleben und erlernen können. Und genau das können wir bieten.
Nochmals zu den Anfängen. Du hast nicht einfach fünf Optis an den Aasee gelegt und kleine Kinder konnten die mieten, sondern richtige Kurse angeboten für die Kleinen. Woher wusstest du, wie man Kindersegelkurse macht?
Die Kurse habe ich mir selbst ausgedacht. Ich habe die Strukturen entwickelt, einschließlich einer kleinen praktischen und theoretischen Prüfung. Um es aufzulockern, mussten die Kinder im ersten Fragebogen den Segellehrer malen, was immer zu lustigen Ergebnissen führte. Einmal fragte ich ein Mädchen, warum sie nicht schreibt, und sie sagte: „Peter, ich kann doch noch nicht schreiben.“ (Lacht) Da habe ich gemerkt, dass ich vergessen hatte, dass einige Kinder noch zu jung sind. Seitdem habe ich viel gelernt, bis die Kurse so gestaltet waren, dass die Kinder eine tolle Woche erleben und etwas fürs Leben mitnehmen. Am Ende bastelten sie immer ein kleines Boot, das drei Anforderungen erfüllen musste: Es sollte ein Segel haben, einen Namen tragen und eine Minute schwimmen können – diese Tradition gibt es bis heute.
Ich möchte wieder sechs sein! Aber bei dir kann man nicht nur Segeln lernen, sondern auch Motorboot fahren, oder?
Ja, aber das schulen wir nicht auf dem Aasee, sondern auf dem Kanal.
Ist natürlich nicht ganz so schön wie auf dem Aasee!
Stimmt, aber der Kurs dauert zum Glück nicht so lange. Den machen aber tatsächlich immer mehr, kann eben auch einfach jeder.
Wann kam eigentlich die Solaaris ins Spiel – die hieß doch früher Landois, wenn ich mich nicht irre.
Die Solaaris, lieber Thorsten, hieß immer Solaaris. Das Schiff, das vorher hier fuhr, war die Professor Landois. Die hat mein Vater mitkonzipiert und -konstruiert. Vorbild waren die holländischen Grachtenboote – ein wunderbares Schiff, das viele Jahre über den Aasee fuhr. Irgendwann war es an der Zeit, das zu ändern. Meine Frau Sabine und ich haben über zwei Jahre nach einer klimaneutralen Lösung gesucht, und so entschieden wir uns für ein Elektro- und Solarschiff. Zu der Zeit waren Solar und Elektromobilität noch neu, aber Münster war Klimahauptstadt und es herrschte Aufbruchstimmung.
Heute gehört sie zum Stadtbild, ist auf tausend Postkarten.
Aber sie ist nicht nur Werbung für die Stadt, sie ermöglicht Gästen unserer Stadt, vom Bahnhof emissionslos bis zum Zoo und Planetarium zu pendeln. Sie nehmen die – elektrische – Linie 14, dann die Solaaris. Die Solaaris wird darüber hinaus auch häufig für Veranstaltungen genutzt, mal gibt es Sonderfahrten mit Livejazz, leckere Weinproben oder Firmenevents, die durch das Schiff eben etwas anders sind, wie man es so nur bei uns erleben kann.
Klar, auf dem Prinzipalmarkt ist dafür zu wenig Wasser. Lass uns ein wenig in die Zukunft schauen, statt in die Geschichte.
Die Solaaris passt aber gut zur Zukunft, denn ich habe ziemlichen Respekt vor den Klimaveränderungen. Auf der einen Seite haben wir inzwischen mal ein, zwei Jahre relativ wenig Wasser im See, dann im nächsten Jahr viel zu viel. Darüber hinaus ist da der Wind, von dem ich hoffe, dass er so bleibt – ich bin kein Klimaforscher, aber lese viel und das macht mich alles ein wenig nervös. Deshalb tun wir, was wir können, um unseren Beitrag zu leisten. Zu unserem 75. Jubiläum haben wir uns ein elektrisches Motorboot geschenkt. Wir können sagen, dass wir bei Overschmidt nur noch unter Segeln über den Aasee fahren – gepaddelt, getreten oder seit neuestem elektrisch.
Dann ist ja eigentlich alles vollbracht.
Es gibt immer noch Neues, was man tun kann – Stellschrauben, die man drehen kann, und Ideen, um noch mehr Menschen zum Segeln zu bringen. Du hast aber recht, auch wenn es etwas dramatisch klingt: Vieles ist bereits vollbracht. Ich freue mich, dass ich in diesem Jahr langsam etwas zurücktreten kann. Ich habe mit Christoph (Fröhlich) und Fabian (Kreul) zwei langjährige Mitarbeiter zu Partnern der Segelschule gemacht, und sie nehmen mir nun einen großen Teil des Tagesgeschäfts ab. So kann ich wieder zu den Anfängen zurückkehren und ein wenig die Welt bereisen.
Peter, ich danke dir für die aufregenden Geschichten und würde mich freuen, wenn ihr bei Overschmidt die Schiffstaufen wieder ein wenig opulenter gestalten könntet. Du weißt doch, wie das geht – ich sage nur: die Botschafterin von Indonesien.
Peter Overschmidt ist Segler, patentierter Kapitän und das Gesicht der Segelschule Overschmidt – seit frühester Kindheit ist er dem Aasee verbunden und auch heute prägt er den See und das Drumherum mit vielen Ideen, Weitsicht und Achtsamkeit. Wer jetzt Lust hat, auch das Segeln oder Motorbootfahren zu erlernen: bitte einfach am See vorbeischauen oder die Seite www.overschmidt.de besuchen.
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Peter Overschmidt