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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Arndt Zinkant spricht mit Prof. Katerina Stathi über Sinn und unsinn der Gendersprache

GRAMMATIK DISKRIMINIERT NICHT!

Das Gendern greift in den Medien immer mehr um sich. Über 1000 Stimmen aus dem akademischen Bereich haben sich seit zwei Jahren gegen diese Sprachform in den GEZ-Medien erhoben. Eine kam von der Uni Münster: die der Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Katerina Stathi. Dafür erhielt sie viel Zuspruch – wenn auch meist unter der Hand.

Sie haben sich gemeinsam mit hunderten akademischen Kollegen gegen die Gendersprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk positioniert. Wie kam es dazu?


Ich bekam den Aufruf einem Kollegen von einer anderen Universität zugeschickt und dachte, es sei eine gute Idee zu unterschreiben, weil ich den dargestellten Positionen zustimme.  


Was waren die Kernpunkte bei dem Aufruf?


Den Text kann man nachlesen unter www.linguistik-vs-gendern.de: „Seit 2020 hat die Verwendung der sogenannten gendergerechten Sprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in erheblichem Maße zugenommen. Ausgangspunkt dieser Sprachpraxis ist die Bewertung des generischen Maskulinums als diskriminierende Sprachform, die wir als Sprachwissenschaftler und Philologen zurückweisen. Wir fordern eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf wissenschaftlicher Grundlage.“ Das ist der einleitende Passus. Dann wird wissenschaftliche Literatur zitiert, etwa zum Thema Genus versus Sexus. Außerdem sei diese Sprachpraxis ideologisch, widerspreche damit dem Gebot der Unparteilichkeit des ÖRR. Nach dem recht langen Text findet man einen Button zum Unterzeichnen. Die Summe derjenigen, die professionell oder wissenschaftlich mit Sprache zu tun haben, umfasst aktuell 1127 Unterzeichner. (Anm. d. Red.: Insgesamt sind es knapp 5500)


Das ist eine Menge! Und wie haben die öffentlich-rechtlichen Sender reagiert?


Meines Wissens gar nicht, die verweigern sich komplett einer Antwort.


Aber die Uni Münster hat Sie nach Ihrer Teilnahme ganz offiziell befragt.

Nachdem ich unterzeichnet hatte, schrieb mich die Kommunikationsabteilung an und wollte ein Interview dazu machen. Die haben mich ähnliche Dinge gefragt, zum Beispiel, warum ich denn unterschrieben hätte. Und dieses Interview wurde dann auf der Internetseite der Universität veröffentlicht. Daraufhin habe ich sehr viele positive Reaktionen erhalten, hunderte E-Mails! Und es trudeln immer noch welche ein, etwa nach dem Motto: „Super, dass das mal jemand ausspricht.“ Alles war dabei: Männer, Frauen, Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter – und natürlich Studenten. Bisher gab es nur Zustimmung.


Der akademische Widerspruch hat mich spontan verwundert, weil die Gendersprache ja quasi in der „akademischen Petrischale“ gezüchtet wurde. Tobt vielleicht im Uni-Bereich ein sprachlicher Kampf, den die Öffentlichkeit kaum bemerkt?


Ich nehme keinen sprachlichen Kampf wahr, sondern mehrheitlich eine Akzeptanz des Genderns. Es gibt jedoch sehr viele Universitätsangehörige auf allen Ebenen, die das Gendern ablehnen, sich aber nicht offen dazu äußern. 


Wie steht es um die Praxis diverser Unis, nicht korrekt gegenderte Abschlussarbeiten schlechter zu benoten. Hat sich da etwas getan? 


Ich glaube nicht, dass sich in diesem Punkt etwas ändern wird. Klagen werden wohl auch nicht weiterhelfen, weil Gerichte sich vermutlich auf Gutachten von Befürwortern stützen werden. Da das Gendern von der Obrigkeit verordnet wurde, kann es auch nur von der Obrigkeit zurückgenommen werden, so wie kürzlich in Bayern geschehen.


Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass Sprache allgemein nicht den Sinn verfolgt, Gerechtigkeit abzubilden – und damit der Gender-Fraktion ihr wichtigstes Argument verdorben. Wie waren die Reaktionen?


Meist wird gar nicht auf dieses Argument eingegangen, sondern meine Position als konservativ abgetan. Die ganze Debatte wird ja ideologisch und moralisch geführt. Damit verweigert man sich einer sachlichen Diskussion, die stets mein Anliegen war und ist.

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Klagen werden wohl nicht weiterhelfen

Hin und wieder drangen in den Medien Germanisten durch, die darauf hinwiesen, dass das Grammatische mit dem biologischen Geschlecht nicht naiv gleichgesetzt werden dürfe. Welche wissenschaftlichen Argumente sind darüber hinaus wichtig?


Erstens ist es wichtig zu wissen, wie ein Wort im Deutschen sein Genus erhält (das, was unglücklicherweise als grammatisches Geschlecht bezeichnet wird) – warum zum Beispiel Wörter wie Mensch oder Gast Maskulina sind, aber das Wort Person ein Femininum. Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Bei Verwandtschaftsbezeichnungen wie Vater, Bruder, Onkel bzw. Mutter, Schwester, Tante usw. ist die Bedeutung des Wortes entscheidend: Hier stimmen Genus und Sexus, also natürliches Geschlecht, überein. In der Regel spielt aber die Form des Wortes eine Rolle. So sind Wörter, die auf mehrere Konsonanten enden (wie Mensch und Gast), in der Regel Maskulina. 


Und das generische Maskulinum?


Bei komplexen Wörtern, die z.B. auf -er enden, wie Lehrer, Maler, Fahrer, muss man bedenken, dass das Genus von der Endung -er (hier Maskulinum) vergeben wird. Das bedeutet aber nicht, dass diese Wörter nur männliche Personen bezeichnen, sondern handelnde Personen jedwedes Geschlechts. Daher werden sie auch als generische Formen bezeichnet oder als generisches Maskulinum. Ein Wort wie Lehrerin ist hingegen explizit für Geschlecht markiert und kann auch nur auf weibliche Personen referieren. In Kontexten, in denen man sich auf eine Gruppe von Personen bezieht und somit Geschlecht keine Rolle spielt (wie z.B. Fahrer dürfen nicht mit dem Handy telefonieren), ist die generische Form die Form der Wahl, weil sie kürzer ist. Das hat nicht zuletzt auch mit Sprachökonomie zu tun.


Man hat den Eindruck, Gendern sei ein Ausweis progressiver und feministischer Gesinnung. Stimmt das?


Ja, wobei ich mit „progressiv“ meine Schwierigkeiten habe, aber so würde das die Mehrheit wohl bezeichnen. Umgekehrt heißt es aber nicht, dass jene, die nicht gendern, keine Feministen oder nicht „progressiv“ sind. Motive wie die Ästhetik von Sprache spielen bei vielen Laien, die nicht gendern möchten, ebenfalls eine Rolle.


Warum wird der ästhetische Aspekt des Genderns, sprich: die Verhässlichung, oft so beiläufig weggewischt – und das sogar von Journalisten und Literaten?


Sprachästhetik spielt in der Sprachwissenschaft allgemein keine große Rolle. Warum aber Journalisten und Literaten den Aspekt wegwischen, ist in der Tat eine gute Frage. Ich vermute, dass das bekannte moralische Element einfach höher gewichtet wird.


Als eine „Ur-Mutter“ des Genderns gilt die Linguistin Luise Pusch. Den Namen kannte ich schon lange und war verwundert, die alte Dame erst in letzter Zeit mehrfach in den Medien-Talks zu sehen. Sie hält Deutsch für eine „Männersprache“. Was würden Sie dem entgegnen?


Das entscheidende Argument wäre, dass Sprache an und für sich nicht diskriminierend ist, Grammatik diskriminiert nicht. Das tun allenfalls Menschen, die mittels Sprache Andere herabsetzen. Aber es gibt nicht irgendeine grammatische Form, die per se Diskriminierung bewirken würde. Das ist einfach Quatsch.


Ähnlich wie auch ein Messer theoretisch eine Waffe ist – andererseits aber nur etwas, womit man ein Butterbrot schmiert.


Ganz genau. Für Diskriminierung bedürfte es eines ganzen Textes. Eine einzelne Endung eines Wortes reicht dafür einfach nicht aus.


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Sprache an sich ist nicht diskriminierend

Löst Gendern eigentlich das behauptete Problem? Es sieht mir so aus, als würde hier der Spieß einfach umgedreht und eine Art „generisches Femininum“ eingeführt.


Das ist ja der wesentliche Punkt, wo Luise Pusch Unrecht hat. Sprache hat nicht die Funktion, Frauen „sichtbar“ zu machen. Es geht nicht um Sichtbarkeit, sondern um die Effizienz von Kommunikation. Die zitierte Sichtbarkeit hängt in der Regel vom Kontext ab. Mal ist das Geschlecht einer Person im Gespräch tatsächlich von Bedeutung, mal spielt es überhaupt keine Rolle. Dass man in jedem sprachlichen Kontext Geschlecht sichtbar machen muss, ist ein Argument, das ich zurückweise. Auf der anderen Seite steht die Effizienz der Kommunikation, und beides gleichzeitig kann ich nicht erfüllen. Man muss sehen, ob man für die Betonung des Geschlechts längere, umständliche Sätze in Kauf nimmt oder ob sich die Ökonomie der Kommunikation durchsetzt – so wie es natürlich ist. Darin besteht momentan quasi der Kampf im Sprachgebrauch, vor allem im mündlichen. Auf Papier können Sie alles hinschreiben.


Apropos Papier: Ich habe von einer Studie gehört, die sich auf das Binnen-I in Texten bezog. Es wurde behauptet, wenn man auf einer A4-Seite etwa zehn Mal „innen“ liest, schleiche sich unbewusst das Gefühl ein, dass ausschließlich von Frauen die Rede sei. Existieren solche Studien?


Ich kenne eine solche Studie. Und diese Endung bezeichnet ja in der Tat explizit weibliche Personen. Diese Konnotation stellt sich beim Leser automatisch ein, das kann er nicht ausschalten – ganz egal, ob man nun einen Genderstern dazwischen setzt oder nicht. Das ist ein Trugschluss.


Sollten wir uns einfach dem Englischen annähern und die weiblichen Endungen abschaffen?


Nein, derart gravierende Eingriffe in die Sprache funktionieren einfach nicht. Das Englische hat eine ganz andere Struktur als das Deutsche. Es hat überdies eine andere Entwicklung hinter sich. Man könnte dort umgekehrt auch nicht alle unsere weiblichen Endungen problemlos einführen. Man kann weder Dinge, die man gern hätte, einfach so einführen noch sie einfach abschaffen. Sprache ist eine mentale Fähigkeit, die sich im Kopf abspielt.


Dann sind die Intentionen, welche die Gendersprache verfolgt, schlussendlich nicht zu verwirklichen?


Es kann einfach nicht funktionieren. In der Schriftsprache klappt es zu einem gewissen Grad, aber auch nur, weil es verordnet wird – über die Verwaltung und ähnliche Instanzen. Ich glaube wie gesagt nicht, dass Gendern sich langfristig durchsetzen wird. Aber warten wir’s mal ab.


Katerina Stathi
Von 1989 bis 1993 studierte Katerina Stathi griechische Philologie an der Universität Athen, danach bis 2001 an der Uni Köln, wo sie den Magister in den Fächern Allgemeine Sprachwissenschaft, Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft (Indogermanistik) und Phonetik erwarb. Dort promovierte sie 2008 im Fach Allgemeine Sprachwissenschaft. Seit 2018 ist Stathi Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Münster.

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Prof. Katerina Stathi

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