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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Rückschau und Ausblick: Arndt Zinkant im Gespräch mit Prof. Markus Müller, Leiter des Picasso-Museums

PICASSO IM TEAM

Seit es im Jahr 2000 gegründet wurde, leitet Markus Müller das Picasso-Museum in Münster. Im kommenden Jahr steht also das 25-jährige Jubiläum an. Obwohl Müller, ähnlich wie Picasso, lieber nach vorne schaut, kommen im Interview doch so manche Highlights der Museumsgeschichte zur Sprache. Und ein Paukenschlag konnte jüngst vermeldet werden: Olivier Widmaier Picasso, der Enkel des Meisters, ist seit dem vergangenen Sommer Vorsitzender des Stiftungskuratoriums.

Ich habe gelesen, dass Olivier Picasso in Frankreich eine Art Fernseh-Promi ist. Stimmt das?


Er ist weltweit gut vernetzt und auf besondere Weise selbst ein Star. Olivier hatte in der Tat sogar ein eigenes Fernseh-Format, in dem er diverse kreative Köpfe zum Interview bat – etwa den Designer Philippe Starck, Karl Lagerfeld oder den Star-Architekten Renzo Piano, der das Centre Pompidou konzipiert hat. Kurzum, das Adressbuch von Olivier Picasso kann sich sehen lassen. 


Wie kam es zum Wechsel im Vorsitz des Kuratoriums?


Das müsste man eher die Protagonisten selbst fragen. Frau Buchholz hat in ihrem Hauptamt als Präsidentin des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe eine Menge zu tun, bei uns handelt es sich ja um ein Ehrenamt, das sie von Herrn Dr. Gerlach übernommen hatte. Im Mai übergab sie nun ihr Zepter an Olivier, was ein recht geschickter Schachzug von ihr war im Hinblick auf die größere Nähe zur Picasso-Familie. Olivier ist jemand, der aus musealer und strategischer Sicht für uns nicht ohne Bedeutung ist. Er ist außerdem kein Newcomer, sondern war bereits seit Jahren Mitglied des Kuratoriums, war mehrmals in Münster und kennt auch die Struktur des Hauses als Stiftung-getragenes Museum. Dass er das nun übernimmt, ist für uns eine große Ehre. Zudem bietet es auch diverse Vorteile, zum Beispiel, Fürsprecher des Museums in Paris zu sein. 


Wozu braucht es dort einen Fürsprecher?


Etwa, wenn es um Rechte-Fragen oder Leihgaben geht. Olivier ist ja nicht ganz unvermögend, was den Besitz von Kunstschätzen anbelangt. Nun ist leider vor kurzem seine Mutter Maya Picasso gestorben, die älteste Tochter des Malers. Er fühlt sich einfach diesem Erbe und auch unserem Haus verbunden. Dies ist ja kein Selbstläufer, sondern es stellt sich stets die Frage, wie man es ausstellungspolitisch und urheberrechtlich verwaltet. Von Haus aus ist Olivier Picasso Steuer-Jurist, künstlerisch oder kunsthistorisch hat er überhaupt keine Ambitionen. Das ist eine Form der Bescheidenheit, die ihn ziert. 


Im kommenden Jahr steht das 25-jährige Jubiläum an. Worauf dürfen wir uns da freuen?


Das wird ein ganzer Reigen von Veranstaltungen werden, angefangen mit der großen Chagall-Ausstellung zu Jahresbeginn, gefolgt von einer Jubiläumsausstellung, die unsere eigenen Bestände noch mal in völlig anderem Licht zeigen wird: in Kombination mit Künstler-Fotos. Zum Ende des Jahres dann mit einer Schau, die der englischen Künstlerin Barbara Hepworth gewidmet ist, der Grande Dame der englischen Moderne. Kritiker würden sagen, es habe ganze 25 Jahre gedauert, bis wir eine Ausstellung über eine Künstlerin zuwege bringen. Dem würde ich entgegenhalten, dass wir nicht zum allerersten Mal eine Frau ausstellen, und dass dieses Haus zwangsläufig irgendwie dem Machismo gewidmet ist (lacht). 


Nach 25 Jahren – wie sehen Sie das Picasso-Museum in der Rückschau?


Vielleicht sollte man es mit unserem großen Meister halten und immer nur nach vorne schauen, statt sich mit Retrospektive aufzuhalten. Das Wort Bilanz klingt mir hingegen zu sehr nach Zahlen. Wenn man ein Picasso-Museum leitet, so ist der eigene Anspruch die ewige Verjüngung. Von Picasso stammt der Ausspruch: Man braucht lange, um jung zu werden. Vielleicht aus Fehlern ein wenig lernend und in die Zukunft blickend, könnte man die Frage bei dem einen oder anderen Projekt stellen: War das wirklich unsere Flughöhe? Passt das überhaupt zu einem Picasso-Museum? Vielleicht sollte man also noch wählerischer werden, was ich aber keinesfalls als Arroganz verstanden wissen möchte. Bei manchen Projekten, aus denen nichts geworden ist, sagt man vielleicht in der Rückschau: Das war ganz gut so. Bei anderen wiederum ist es schade. Beispielsweise habe ich mich jahrelang um eine Ausstellung mit Handzeichnungen van Goghs bemüht. Dabei stand ich lange in Kontakt mit dem Kröller-Müller-Museum sowie dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Picasso war ein großer Bewunderer von van Goghs Zeichentalent. Nach drei Jahren kam dann eine Auslese von 35 Zeichnungen heraus, wo ich sagen musste: Damit kann man hier keine Ausstellung bestreiten.


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Künstlerisch hat Olivier Picasso keine Ambitionen

Picasso bewunderte ja nicht nur das Zeichentalent von van Gogh, sondern auch das des großen französischen Karikaturisten Daumier aus dem 19. Jahrhundert. Diese Ausstellung war ein Fest für mich. Wie kam es dazu?


Durch den Kontakt zu einem Frankfurter Sammler, der ein großer Daumier-Spezialist ist. Bei eher informellen Wegen kann es eben passieren, dass jemand sagt: In Frankfurt gibt es einen ganz großen Champion in der Daumier-Liga. Dieser leiht auch aus. Und so ist diese Daumier-Ausstellung damals entstanden – und sie hat in einem Picasso-Museum eben auch ihre Daseinsberechtigung. Ein französischer Kollege formulierte es einmal so: „Picasso ist in allem, und alles ist in Picasso.“ Sein Blick in die Vergangenheit weiß diese für die Zukunft fruchtbar zu machen. Das berechtigt einen aber eben auch, in der Barockmalerei zu wildern. Oder eben bei van Gogh. Zu glauben, dass Innovation etwas aus dem Nichts ist, dem widerspricht er. Es gibt keine Stunde Null der Kunstgeschichte! 


Nicht so positiv war mir dagegen die Ausstellung über Helmut Newton aufgefallen. Damals konnte ich weder den Bezug zur Grafik noch zu Picasso erkennen.


In der Tat muss man bei Newton sehr weit ausholend argumentieren. Am Ende wäre der Bezugspunkt zu Picasso wohl am ehesten „cherchez la femme“, also die Liebe zur Frau. Die Ausstellung hat uns zwar viele Besucher ins Haus gebracht, aber sensible Besucherinnen und Besucher oder solche, die vom Fach sind, mussten wohl eher zum Fazit gelangen: Das war eher ein Neben- als ein Hauptweg für ein Picasso-Museum.


Gibt es eine Art Schlüssel, der vorgibt, welche Ausstellungen Picasso gewidmet sind und welche nur thematisch mit ihm korrespondieren?


Da befinden wir uns quasi zwischen Pest und Cholera. Wir haben unsere eigenen Bestände in jeder erdenklichen Weise gedreht und gewendet und befragt. Schon vom Namen her sind wir ein monografisches 

Picasso-Museum. Unser Stammpublikum kennt unsere Bestände in- und auswendig. Das ruft nach Erneuerung, nach Häutung, nach neuen Projekten. Der touristische Blick dagegen lautet: Leute, ihr seid ein Picasso-Museum! Wir kommen hier herein und sehen Chagall oder gar Helmut Newton, das kann ja wohl nicht sein! (lacht). Insofern müssen wir dort einen Spagat wagen, ohne uns eine Zerrung zu holen. Deshalb haben wir uns selbst dazu verpflichtet, zumindest in drei Räumen Eigenbestand mit Picassos zu zeigen, damit niemand unzufrieden nach Hause geht.


Waren Sie eigentlich schon immer Picasso-Verehrer, oder mussten Sie sich seine Kunst erst erarbeiten?


Bereits als Jugendlicher habe ich mich an Kopien von seinen Bildern versucht. Außerdem waren meine Eltern große Südfrankreich-Liebhaber und wir sind dort öfters im Urlaub hingefahren. In Antibes fand man mich zu dieser Zeit gerne mal im Musée Picasso. Ich ging also bereits ins Studium mit einer starken Liebe zur klassischen Moderne, darunter auch der deutsche Expressionismus. Wenn man sich Picassos Person auch biografisch nähert, wird allerdings die Begeisterung nicht zwangsläufig größer, sondern man gewinnt auch zunehmend Abstand zu ihm. 


Mensch und Werk zu trennen, ist eben nicht möglich.


Gerade bei Picasso nicht – da würde man ihm einfach nicht gerecht. Ich bin also kein bedingungsloser Fan Pablo Picassos, aber es gibt andererseits keinen, der sich immer wieder in dieser Weise künstlerisch neu erfunden hat. Einer, der nicht in Stil-Routine abgeglitten ist, wie man es bei vielen anderen Künstlern erlebte. Allerdings ist im Alter der Amplituden-Ausschlag der Qualität selbst bei ihm nicht mehr so groß gewesen – das kann man vielleicht auch von jemandem mit Ende 80 oder Anfang 90 nicht mehr erwarten. Wenn es irgendeine nötige Kulturreform gäbe, so wäre es vielleicht die eines gesetzlichen Rentenalters für bildende Künstler (lacht). 

Nehmen wir als Beispiel Marcel Duchamp, der eben nicht bis zum letzten Atemzug tätig war, und der in einem Interview selbstironisch sagte: „Vielleicht ist mir einfach nichts Gutes mehr eingefallen?“


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Ich bin kein bedingungsloser Fan von Pablo Picasso

Sie bieten hier auch Rahmenprogramme an, für Schüler wie auch Erwachsene. Wie werden diese angenommen?


Sehr gut, da sind wir von der Kapazität her oft am Limit. Dieses Thema treibt übrigens auch Olivier Picasso um, der die Einnahmen seiner Bücher der pädagogischen Abteilung des Centre Pompidou zugutekommen lässt. Er hält Museumspädagogik für einen eminent wichtigen Aspekt, denn es geht um das Publikum von morgen. Kinder oder auch ältere Interessierte an die Kunst heranzuführen, ist eine sehr wichtige Arbeit. Es macht viel Freude, und man wird auch mit Fragen konfrontiert, auf die man vielleicht gar nicht gefasst war. Wie Picasso selbst einmal sagte: „Das Kunstwerk gewinnt nur Leben durch den, der es betrachtet.“ Hinter unserer Museumsarbeit steckt vieles, was man nicht sieht, und eine neue Ausstellung ist wie der aufgehende Vorhang beim Theater: Eine Vorfreude auf das, was das Publikum mitnimmt, auf die vielen interessierten Gesichter. 


Und das Kommerzielle?


In der aktuellen Ausstellung beschäftigen wir uns genau damit, genauer: mit dem Aspekt „Kunst und Werbung“ – also damit, wie zum Beispiel die Werbeindustrie das Lächeln der Mona Lisa nutzt. Diesen kommerziellen Aspekt mag man schnöde finden, andererseits könnte man es auch positiv sehen: Da werden große Kunstwerke aus den Musentempeln heraus in den Alltag  getragen. Es gibt doch eigentlich nichts Schöneres als gelebte Kultur – egal, ob sie auf der Keksdose oder der Cornflakes-Packung vorkommt. Ein Kollege aus Freiburg hat sich mal der Mühe unterzogen, in einer Ausstellung alle Produkte zu vereinen, die Künstlernamen tragen. Es gibt das Duschgel „Miró“ und auch das Parfum. „Giotto“ zum Espresso braucht man gar nicht zu erwähnen (lacht).


„Raffaello“ gibt es auch.


Stimmt, die italienische Renaissance ist quasi auf unseren Tellern präsent. Initialzündung war natürlich, dass die Familie Picasso 1999 die Signatur Picassos an den französischen Autobauer Citroën für ein Wagenmodell verkauft hat. Daraufhin ging ein Aufschrei durch die Picasso-Museumswelt, allen voran Jean Clair, der damalige Direktor des Musée Picasso, der meinte: „Die junge Generation des neuen Jahrtausends wird Picasso mit einem Auto assoziieren!“ Und Olivier Picasso, der den Deal sogar mit eingestielt hatte, musste zugeben: Als er einmal in einem Restaurant einen Tisch bestellen wollte, fragte die Dame am Telefon nach dem Namen. Als Olivier dann Picasso sagte, erwiderte sie freudig: „Ach ja, so wie das Auto!“ (Lacht). Das ist typisch für Olivier: Er kann beide Seiten kritisch nachvollziehen und sogar noch mit einer Anekdote auf den Punkt bringen.


Das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster (bis September 2010 Graphikmuseum Pablo Picasso Münster) wurde im Jahr 2000 eröffnet und beherbergt Lithografien sowie weitere Bestände in verschiedenen künstlerischen Techniken und aus unterschiedlichen Schaffensperioden Pablo Picassos mit über 800 Exponaten. Dr. Markus Müller leitet das Museum seit seiner Eröffnung. Zuvor war er an den Florentiner Museen und am Metropolitan Museum of Art in New York wissenschaftlich tätig. Neben zahlreichen Veröffentlichungen zu Picasso und der Kunst des 20. Jahrhunderts übernahm er 2008 eine Honorarprofessur für Kunstgeschichte an der Universität Münster. 

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Arndt Zinkant

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