Peter Sauer spricht mit Tanja Weidner über Chat-GPT, Theaterehe und Eisbäder
DURCH TRUMP MEHR ZUSCHAUER
Gerade auch in Zeiten knapper Kassen verlässlich gute Qualität bieten und neue Experimente wagen:
Das ist das Ziel von Tanja Weidner. Seit September ist sie die neue Intendantin und Geschäftsführerin des Wolfgang-Borchert-Theaters. Sie brennt für das Theatermachen, das Theater gestalten und für das Theater als öffentlichen Diskursraum für eine demokratische Gesellschaft. Gerade in Zeiten wie diesen.
Liebe Tanja, ich erreiche Dich direkt nach Eurer jüngsten Premiere im WBT. Was passiert in solchen Zeiten mit Dir? Hoher Blutdruck und Glücksgefühle?
Bei der letzten Premiere „Der Teufel und die Diva“ war ich selbst nicht Regisseurin, sondern Luisa Guarro aus Neapel. Der Abend über Hildegard Knef, die nach ihrem Tod in einer Zwischenwelt auf den Teufel trifft, braucht eine Regie, die sich mit Lust und Wonne auf die dunkle Seite begibt. Luisa ist das perfekte Match. Aber entspannt zurücklehnen kann ich mich trotzdem nicht. Ich stehe nach wie vor als Dramaturgin zur Verfügung und habe die Produktion begleitet, das heißt die Regisseurin auch sprachlich unterstützt, da ich etwas Italienisch spreche. Trotzdem bin ich aufgeregt und fiebere mit.
Hast Du nach all den Jahren noch Lampenfieber?
Immer, ich habe immer Lampenfieber, je nachdem wie emotional beteiligt ich bin. Aber wenn es darum geht, meine Arbeit zu präsentieren, will ich mich dem Publikum auch ganz zur Verfügung stellen, mich öffnen. Der Preis dafür ist Verletzbarkeit.
Was machst Du gegen das Lampenfieber?
Atmen. Und mir fest vorstellen, dass die Leute meine Freude teilen und ich sie verführen kann, mit mir die Welt auf eine Art zu entdecken, für die ich wochenlang gearbeitet habe.
Wie hältst Du Dich fit?
Mir fehlt momentan schlicht die Zeit, wie sonst am Kanal zu laufen. Das war vor der Intendanz nämlich mein Ritual. Ich kompensiere das seit einem Monat mit einem morgendlichen Eisbad. Das hat mir ein Kollege empfohlen. Und es wirkt Wunder. Die acht Minuten bei 9 bis 10 Grad, ehe ich in den Tag starte, sind meine Zeit. Und ich bilde mir ein, dass sie den Sport ersetzen, jedenfalls fühle ich mich fit. Ich spiele Klavier, singe und hab mir eine Querflöte gekauft. Just for fun. Das ist absolut regenerierend.
Wie war Deine erste Reaktion, als Du neue Intendantin vom Borchert wurdest?
Das war ein Prozess. Als Meinhard Zanger zum ersten Mal sagte, dass er mit 69 Jahren spätestens aufhören möchte, war die Entscheidung, wer folgt, noch lange nicht klar. Ich hatte eigentlich geplant, wieder komplett als freie Regisseurin zu arbeiten. Aber dann kam Corona und hat einiges verändert.
Wir sind im Wolfgang-Borchert-Theater enger zusammengewachsen und haben die Krise gemeinsam überstanden. Außerdem konnten wir neu anfangen – durch öffentliche Förderprogramme haben wir uns zum Beispiel richtiggehend digitalisiert und technisch auf Vordermann gebracht. Als dann der Vorstand unseres Trägervereins auf mich zukam, fühlte ich mich sehr geehrt und konnte offen formulieren, wohin die Reise für mich gehen sollte. Nämlich das Gute zu bewahren – und dennoch eigene Wege zu gehen. Die einstimmige Wahl schließlich durch die Vereinsmitglieder hat mir sehr viel Rückenwind verschafft, wofür ich unendlich dankbar bin.
Was unterscheidet Dich von Deinem Vorgänger?
In sehr vielen Punkten sind wir uns sehr ähnlich und wir waren und sind auch ein super Team, weil wir uns ganz gut ergänzen. Aber unser diesjähriges Motto heißt Tabula Rasa, weil ich neue Akzente setzen will. Künstlerisch strebe ich nach mehr Experimenten, nach digitaler Kunst, nach mehr Kommunikation mit dem Publikum. In der Regiearbeit kommt Meinhard eher vom Wort, Dialogregie ist immer im Zentrum seiner Stücke. Ich war immer mehr dem Bild und der Atmosphäre verpflichtet und bin eher ein Augenmensch. Persönlich prescht Meinhard in Konflikten eher voran und pfeift auf Gegenwind. Ich bin da meist diplomatischer und kann ganz gut zuhören. Als Führungskraft ist mir Struktur und Disziplin einerseits, ein ehrlicher, offener Umgang miteinander andererseits wichtig.
Ich freue mich wie ein kleines Kind wenn es etwas neues zu entdecken gibt.
Wie hast Du Dich auf Deine neue Aufgabe vorbereitet?
Ich war zehn Jahre lang stellvertretende Intendantin und war dadurch von den zusätzlichen Aufgaben nicht überrascht. Die Anforderungen an die Geschäftsführerin sind allerdings neu und brauchten intensiveren Austausch mit meinem Vorgänger. Darüber hinaus habe ich mich fortgebildet, Bücher gelesen, und mich auch mit Betriebsfremden ausgetauscht, um neuen Input zu bekommen.
Was sind für Dich die wichtigsten Bausteine für Deine Intendanz?
Im Zentrum steht die Qualität unserer Kunst. Wenn unsere Aufführungen nicht top sind, macht unsere Arbeit keinen Sinn.
Das heißt?
Ich glaube fest daran, dass eine demokratische Gesellschaft den öffentlichen Diskursraum Theater braucht. Ich glaube fest daran, dass uns Theater als Mensch bildet und dass die Seele Theater einfach braucht. Kunst, Musik, Theater gibt uns unsere Würde zurück, die uns im Alltag genommen wird, wenn wir nur noch zum Objekt all derer gemacht werden, die etwas an uns verkaufen wollen. Wir sind mehr als Konsumenten.
Was sind Deine Ziele als Intendantin?
Gutes Theater zu machen und mich einzusetzen für die Zukunft des WBT. Es geht uns finanziell so wie vielen Privattheatern: alles andere als gut. Inflation und Teuerungen, die einen Teufelskreis produzieren, bedrohen uns massiv. Wir brauchen mehr Geld, um unsere Ausgaben zu stemmen, können aber kaum höhere Einnahmen generieren. Wir spielen ja schon fast täglich. Und unsere Mitarbeitenden brauchen höhere Löhne, da sie ihre eigenen Ausgaben immer schwerer bewältigen können. Wir sind bedroht von einem Exodus all derer, die an öffentlich höher geförderten Häusern mehr verdienen wollen.
Bei Deinem Start hieß es, Du willst mehr experimentieren. Was heißt das konkret?
Ich bin selbst ein neugieriger Mensch und freue mich wie ein kleines Kind, wenn es etwas Neues zu entdecken gibt. Mit Tobias Bieseke und Jan Schulten, sowie Björn Gabriel und Jan van Putten kommen Videokünstler ans Haus, die eigene Wege in der Erzählung von Geschichten gehen. Ich habe bei MetaFAUST ChatGPT4.0 als Dramaturg*in eingebunden. Zudem experimentieren unsere Veranstaltungstechniker*innen etwa bei den LED-Kostümen bei MetaFAUST. Wir untersuchen die Einsetzbarkeit von Hologrammen im Theater und machen ein kleines Cabrio bühnenbildtauglich. Und in der nächsten Spielzeit sollen die VR-Brillen wieder zum Einsatz kommen.
Wie waren die Reaktionen auf die ersten Experimente?
Sehr positiv. Sowohl bei den Stücken mit 360°-Filmen („Corpus Delicti“ und „Wann, wenn nicht jetzt?“), als auch bei MetaFAUST. Ich freue mich vor allem, dass nicht nur die Jüngeren auf die neue Technik abfahren, sondern gerade auch die Älteren und der alte Text von Goethe gerade auch die Goethe-Anfänger, also in der Regel die Youngsters, abholt.
Was sind die aktuellen Herausforderungen im Theaterjahr 2025?
Das ist auf der einen Seite die beschriebene Konsolidierung des Etats, auf der anderen Seite die Herausforderung, die Menschen, die krisengeschüttelt lieber abends auf dem Sofa sitzen, wieder ins Theater zu locken. Wir waren gesegnet mit einem sehr guten Besuch nach der Pandemie. Dann folgte der Kriegsausbruch in der Ukraine, und die Leute blieben weg. Nach und nach kamen die Menschen wieder ins Theater – dann brach der Krieg in Israel/Palästina aus, und die Leute blieben wieder weg.
Die Menschen in Münster wollen an interessanten Geschichten teilhaben.
Was macht Dir Hoffnung?
Seit Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt wurde, brennen unsere Leitungen und wir verkaufen so viele Karten wie selten in den letzten Monaten. Gut, das war zeitgleich mit unserer letzten Premiere – vielleicht lag es auch einfach daran … (lacht) Aber tatsächlich ist die größte Herausforderung, in dem gesellschaftlichen Klima, das zurzeit herrscht, Theater zu machen, das die Menschen erreicht, das sie sehen wollen, ohne den Kopf in den Sand zu stecken.
Was sind die Vorteile, in Münster Theater zu machen?
Die Menschen in Münster wollen vor allem eins: an guten, interessanten und für sie relevanten Geschichten teilhaben. Große Namen, der Hype um Uraufführungen oder spezielle Themen der Metropolen Berlin, Hamburg, München haben keinen besonderen Werbeeffekt. Du musst in Münster schon wissen, was Dir wirklich wichtig ist – und das dementsprechend auch versuchen, rüberzubringen. Das Publikum in Münster ist nur an einem ehrlichen Herzen interessiert.
Dein Mann Meinhard Zanger hat eine Bühnenfassung von Thomas Hettches Roman der Augsburger Puppenkiste „Herzfaden“ geschrieben. Wie schwierig ist es, wenn der eigene Partner, Dein Schauspieler oder Regisseur ist?
Wir spielen alle Rollen in unserem Leben, nicht nur am Theater. Wenn man zusammenlebt und auch noch zusammenarbeitet, ist es von Vorteil, diese unterschiedlichen Rollen ganz klar zu trennen.
Ist es für eine Partnerschaft von Vorteil, ab und zu mal die Rollen zu tauschen?
Ja, damit man nach etlichen Jahren nicht zu festgefahrene Wege begeht, aus denen es kein Ausbrechen mehr gibt. Ich denke, es war eher die Herausforderung, die große Vertrautheit miteinander nicht als geschlossene Tür für Dritte werden zu lassen und quasi am Küchentisch zu inszenieren. Deswegen haben wir relativ schnell entschieden: Zuhause sind wir privat, und im Theater sind wir Kollegen, die sich schätzen, kritisieren und fördern. Daher ist es fast kein Unterschied, ob Meinhard als Regisseur oder Schauspieler ins Haus kommt. Ich bin meist nur etwas ungeduldiger mit ihm – und er mit mir. Aber eine gewisse Strenge gehört zu unserem Berufsalltag dazu.
Was machst Du in Deiner Freizeit?
Abgesehen vom Musizieren lerne ich gerne Fremdsprachen. Ich habe in der Schule Englisch, Französisch, Latein, Altgriechisch und Hebräisch gelernt. Das war die perfekte Basis, um sich an andere Sprachen heranzutrauen. Jetzt sind Italienisch, Russisch, Portugiesisch und Koreanisch dazugekommen. Wenn ich ein paar Tage freihabe, werden Rucksack und Wanderschuhe rausgeholt. Ich bin vor Kurzem den portugiesischen Jakobsweg gelaufen. Das war eine schöne Erfahrung.
Tanja Weidner
Geboren in Göttingen, aufgewachsen in Baden-Württemberg, Studium (Germanistik, Kunstgeschichte, Geschichte) in Göttingen und Rom, Regieassistentin am Berliner Ensemble bei Peter Stein, Claus Peymann und Robert Wilson. Seit 2009 Regisseurin. Seit 2013 lebt sie in Münster, zunächst als Chefdramaturgin am WBT, seit 2024/25 als Intendantin und Geschäftsführerin.
www.wolfgang-borchert-theater.de
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Edina Hojas & Jinuk Choi