Juli Pons im Interview mit Theresa Roessler
NEUE PERSPEKTIVEN
„Kuratieren ist ein Moment des Hostings und des Dialogischen.“ – so beschreibt Theresa Roessler, die neue Direktorin des Westfälischen Kunstvereins, ihre kuratorische Arbeit. Im Gespräch mit Juli Pons verrät sie, wie sie von der Leidenschaft für Kunst und Kultur zu ihrer jetzigen Position fand, was gelungene Kunstvermittlung ausmacht und welche Kraft in Freundschaft steckt. Ihr Ziel: Einen Dialog schaffen, der über den Ausstellungsraum hinausgeht und das Publikum in neue Denkweisen einbindet. Ein spannender Einblick in das Zusammenspiel von Kunst, Kuratieren und gesellschaftlichem Engagement.
Erst einmal: Willkommen in Münster, Theresa, und herzlichen Glückwunsch zu der neuen Position als Direktorin des Westfälischen Kunstvereins!
Vielen Dank. Ich freue mich sehr!
Schön, dass wir heute miteinander sprechen können. Erzähl’ doch mal! Wann ging dein Interesse für Kunst los?
Glücklicherweise bin ich in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem ich früh mit Literatur, Musik und bildender Kunst in Berührung kam. Meine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte ich beim Goethe-Institut, dessen spartenübergreifendes Kulturprogramm mich damals sehr beeindruckte, geht es doch um die Befragung einer Gegenwart aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.
Warum bist du Kuratorin geworden? Was fasziniert dich besonders an dieser Arbeit?
Ich habe bereits während meines Studiums in Wien in Galerien gearbeitet, und zwar schnell erkannt, dass der kommerzielle Bereich nichts für mich ist. Dennoch war es ein wichtiger Einstieg, um zu verstehen, was künstlerische Produktion bedeuten kann. Dabei finde ich die Möglichkeit, die Welt durch andere Augen zu sehen, unglaublich bereichernd. Die Frage der Übertragbarkeit, also inwiefern eine Zeit, ein Gefühl, eine Erfahrung, eine Erinnerung jeweils individuell übersetzt werden können, treibt mich nach wie vor an. Jede Ausstellung ist, und das mag etwas pathetisch klingen, ein ganz eigener Kosmos. Künstler:innen in ihren Denk- und Arbeitsprozessen begleiten zu dürfen, dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit.
Nach welchen Kriterien wählst du die Künstler:innen aus?
Das ist eine wirklich schwer zu beantwortende Frage. Oft sind es Künstler:innen, deren Arbeit ich schon eine lange Zeit verfolge, d.h. dann auch bereits gut kenne. Es sind selbstverständlich stark subjektive Kriterien, auch wenn sie sich teilweise aus aktuellen Entwicklungen und Diskursen jeweils ableiten lassen. Dabei spielt für mich auch immer die Frage eine Rolle, was ich den Künstler:innen eigentlich anbieten kann. Aktuell bietet natürlich auch das Jahresprogramm, das ich seit längerer Zeit vorbereite, einen entsprechenden Rahmen.
Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den Künstler:innen aus?
Es beginnt mit einem Ausstellungsbesuch oder einer Recherche, die mich auf eine bestimmte künstlerische Position aufmerksam macht. Es folgt ein Atelierbesuch, zahlreiche Gespräche, E-Mails, Zoom-Treffen. Sofern dann eine offizielle Einladung für ein Projekt ausgesprochen wird, folgt ein sogenannter site visit, bei dem die Künstler:innen vor Ort den Ausstellungsraum besichtigen, das Umfeld erkunden, eine Recherche beginnen. Die folgende Konzeptions- und Produktionsphase gestaltet sich je nach Projekt sehr unterschiedlich. Die Aufbauphase vor Ort ist schließlich eine sehr besondere, aber auch intensive Zeit, wo wir gemeinsam mit dem Team letzte Entscheidungen treffen.
Du hast in Hauptstädten wie Wien oder Berlin gelebt und gearbeitet, also pulsierende Metropolen mit zahlreichen kulturellen Angeboten, aber auch in kleineren Großstädten wie z.B. Karlsruhe, Freiburg oder jetzt Münster. Welche Unterschiede in der Kunstvermittlung siehst du?
Vermittlung muss meines Erachtens eine viel größere Rolle in kleineren Städten spielen, was uns zu einem großen Defizit der Kunstvereine bringt. Aufgrund der sehr schlanken personellen Strukturen gibt es beispielsweise keine Vermittlungsstelle. Aber: Vermittlungsangebote nehmen ohnehin schon in der Konzeptionsphase einer Ausstellung einen wichtigen Stellenwert für mich ein, so dass ich in meiner zukünftigen Arbeit am Kunstverein auch die bessere und insbesondere langfristige Finanzierung solcher vermittlerischen Tätigkeiten forcieren möchte. Dialoge zu initiieren ist das eine, sie zu pflegen und für beide Seiten produktiv zu halten, das andere.
Ich suche nach künstlerischen Prozessen
Was macht denn gelungene Kunstvermittlung für dich aus?
Ich denke immer an einen Begriff bzw. ein von der Kunstvermittlerin und Kuratorin Nora Sternfeld gezeichnetes Bild in einem Text, in dem es um den „Gegenverkehr“ ging, also um Dialog und Austausch, und nicht um eine Einbahnstraße, um das Aufeinander-zugehen, um das Um-einander-manövrieren. Vermittlung sollte doch Erfahrungen, Wissen, Überlegungen beider Seiten zur Sprache bringen, statt lediglich Informationen von A nach B zu transferieren, ohne zu wissen, was das bei B eigentlich auslöst.
Apropos zum Sprechen bringen: Inwiefern spielt die Sprache, in der die Veranstaltung angeboten wird, eine Rolle? Das Englische ist ja im Kunstbereich sehr präsent.
Hier in Münster spielt sie in jedem Falle eine andere als beispielsweise in Berlin. Sprache kann eine Barriere darstellen. Für die zukünftige Arbeit am Kunstverein und insbesondere für die zahlreichen geplanten Veranstaltungen in 2025 wird die Überlegung, wie wir öffentliche Diskussionen, Lesungen, Workshops usf. von englischsprachigen Akteur:innen entsprechend übersetzen und vermitteln, einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
Was kann man im Westfälischen Kunstverein alles erleben?
Unerwartetes! Ausgehend von drei umfangreichen Ausstellungsprojekten im Jahr bieten wir viele Vermittlungsformate und Veranstaltungsreihen an, die auch immer andere Disziplinen neben der bildenden Kunst wie Literatur, Performance oder Film miteinbeziehen. Zukünftig möchte ich mich noch stärker auf die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur:innen konzentrieren.
Der Radarraum gehört ja auch dazu. Worin unterscheidet er sich von den anderen Ausstellungsräumen?
RADAR ist eine 2015 von meiner Vorgängerin Kristina Scepanski und der Kuratorin für Gegenwartskunst am LWL-Museum initiierte Kooperation und fungiert als Scharnierstelle zwischen dem Kunstverein und dem Museum. Hier liegt der Fokus auf Nachwuchsförderung, so dass meist sehr junge Künstler:innen, die sich beispielsweise noch im Studium befinden, erstmals eine Arbeit in einem institutionellen Kontext präsentieren. Ich freue mich sehr darauf, nun diese Kooperation weiter zu vertiefen, so dass die Beziehung beider Häuser, die ja bereits gründungsgeschichtlich eng miteinander verwoben sind, auch eine entsprechende Öffentlichkeit erhält.
Worauf können sich die Kunstinteressierten ab Februar freuen? Kannst du schon was verraten?
Am 22. Februar 2025 eröffnen wir das einjährige Recherche-, Ausstellungs- und Diskursprogramm, das aktuell noch unter dem Arbeitstitel The Company We Keep Makes The World We Live In läuft, sinngemäß übersetzt „Die Menschen, mit denen wir uns umgeben, formen die Welt, in der wir leben“. Wir bereiten aktuell drei Ausstellungen vor und konzipieren Veranstaltungsreihen in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteur:innen, die sich vor allem auf Literatur und Film konzentrieren.
Welcher „rote Faden“ zieht sich denn durchs nächste Jahr?
Es geht um Freundschaft als politische Praxis. Das Jahresprogramm folgt so der Behauptung, dass eine sozialere, gerechtere, planetarische Zukunft viel eher mit der Frage des „mit wem“ anstatt eines „wie“ zu erreichen wäre, wie es Bahar Oghalai und María do Mar Castro Varela in ihrem Buch „Freund*innenschaft – Dreiklang einer poetischen Praxis“ (2023) fordern.
Der Radarraum wurde 2013 gegründet
Ein faszinierender Ansatz – Freundschaft nicht nur als private Verbindung zu sehen!
Genau. Freundschaft kann sich bestehenden Machtstrukturen und eben den aktuell stark diskutierten Identitätskategorien entziehen, sich über diese hinwegsetzen, was letztlich auch damit einhergeht, Differenzen anzuerkennen. Mit dem Arbeitstitel zeigt das Jahreskonzept, so wie Hannah Arendt es versteht, dass Freundschaft als Mittel für sozialen und politischen Wandel wirken kann. Für die politische Philosophin war diese Beziehungsform das zentrale Phänomen von Menschlichkeit und nicht nur ein intimer Zustand, sondern politische Treibkraft und Grundlage einer demokratischen Gesellschaft.
Die Neugier fürs kommende Programm ist definitiv geweckt! Und wenn man nun aktiver mitwirken möchte, wie kann man Mitglied werden?
Das ist ganz einfach! Man kann sich online anmelden oder direkt ein analoges Formular aus dem Kunstverein mitnehmen. Eine ordentliche Mitgliedschaft liegt bei 60 € pro Jahr, für Künstler:innen sind es 35 € und für Schüler:innen und Studierende lediglich 25 €, was für das gebotene Programm sehr erschwinglich ist. Als Mitglied könnt ihr alle Ausstellungen und Veranstaltungen unseres Kunstvereins in Münster sowie jene in Deutschland, die der ADKV (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine) angehören, gratis besuchen. Außerdem können Mitglieder exklusive Editionen von ausstellenden Künstler:innen erwerben. Alle weiteren Vorteile einer Mitgliedschaft sind auf unserer Website nachlesbar oder: Sprecht uns immer gerne einfach an!
Warum ist das Kunstvereinsmodell für dich so bedeutend?
Kunstvereine fördern zeitgenössische Kunst, indem sie neue, meist ortsspezifische Arbeiten in Auftrag geben. Oftmals richten sie die ersten institutionellen Einzelausstellungen einer künstlerischen Position in Deutschland aus. Darüber hinaus blicken Kunstvereine auf eine mehr als 200-jährige Tradition zurück. Kunstvereine gingen aus einer Emanzipationsbewegung des Bürgertums hervor, die die Auftraggeber:innenschaft von Kunst maßgeblich veränderte, denn nun waren es nicht mehr Adel und Kirche. So nehmen sie eine Pionierrolle ein, wurden sie doch vor sammelnden Museen und kommerziellen Galerien gegründet, und agieren auch heute noch als vermittelnde Akteure zwischen diesen. Kunstvereine sind nach wie vor ein Ort des künstlerischen und kuratorischen Experiments, was andernorts so nicht mehr möglich ist.
Was sollte sich in der Kunstwelt dringend ändern?
So vieles! Aber insbesondere die finanzielle Vergütung von Künstler:innen. Der Kunstbetrieb ist ein schizophrener und in vielen Bereichen extrem asymmetrisch. Es ist schwer zu begreifen, dass die Arbeit einer:eines Künstler:in immer noch nicht als Profession verstanden wird. In Deutschland gibt es nach wie vor keine verpflichtenden Künstler:innenhonorare, so dass selbst Institutionen mit weitaus größeren Budgets ihre Schlupflöcher finden und die Ausbeutungsmaschinerie aufrecht erhalten. Das muss sich ändern.
Zum Schluss noch zwei kurze Fragen als Absacker: Was liest oder hörst du gerade?
Aktuell lese ich Juliane Rebentischs „Der Streit um Pluralität: Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt“.
Gibt es tägliche Rituale, die deinen Arbeitsalltag begleiten?
Sport.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch! Ich wünsche dir viel Erfolg und Freude bei deiner Arbeit und all den Projekten, die noch kommen.
Ich bedanke mich beim Stadtgeflüster Interview.
THERESA ROESSLER
Theresa Roessler, geboren 1992 in Halle an der Saale, studierte Kunstgeschichte in Wien sowie Kunstwissenschaft, Medienphilosophie, Kuratorische Studien und Ausstellungsdesign in Karlsruhe und Dublin. Sie war für verschiedene Galerien, Kunstvereine und Museen tätig, zuletzt als Kuratorin am Kunstverein Freiburg. Neben institutionellen Tätigkeiten kuratierte sie freie Ausstellungen und veröffentlichte Texte in renommierten Kunstmagazinen wie Revista ARTA und Camera Austria. 2024 erhielt sie ein Stipendium des Goethe-Instituts für eine Forschungsreise nach Tiflis, Georgien. Am 1. September 2024 übernahm sie die Leitung des Westfälischen Kunstvereins in Münster.
https://www.westfaelischer-kunstverein.de
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Ygor Bahia