Juli Pons im Interview mit Theresa Roessler
NEUE PERSPEKTIVEN
Theresa Roessler, die neue Direktorin des Westfälischen Kunstvereins, bringt mit ihrem kreativen Elan frische Impulse in die Stadt. Im Interview spricht sie über die Welt des Kuratierens, die Kraft der Freundschaft und gibt zudem spannende Einblicke in das neue Programm des Westfälischen Kunstvereins.
Erst einmal: Willkommen in Münster, Theresa, und herzlichen Glückwunsch zur neuen Position als Direktorin des Westfälischen Kunstvereins!
Vielen Dank. Ich freue mich auf spannende Zeiten in Münster!
Schön, dass wir heute miteinander sprechen können. Erzähl doch mal! Wann ging dein Interesse für Kunst los?
Glücklicherweise bin ich in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem wir oft ins Museum gingen oder Kunstausstellungen besuchten. Auch Literatur, Musik und Theater haben mich bereits früh fasziniert. Nach der Schule habe ich ein Jahr lang einen Freiwilligendienst in Argentinien gemacht und beim Goethe-Institut gearbeitet. Das spartenübergreifende Kulturprogramm dort, also diese Übersetzung von zeitspezifischen Themen in Kunst, Musik oder Literatur, hat mich schon immer tief beeindruckt.
Warum bist du Kuratorin geworden? Was fasziniert dich besonders an dieser Arbeit?
Ich habe während meines Studiums in Wien bereits in Galerien gearbeitet und schnell erkannt, dass der kommerzielle Kunstbereich nichts für mich ist. Dennoch war es ein wichtiger Einstieg, um zu verstehen, wie Künstler:innen arbeiten und wie Ausstellungen entstehen. Dabei finde ich die Gespräche mit Kunstschaffenden und die Möglichkeit, die Welt durch ihre Augen zu sehen, unglaublich aufregend. Jede Ausstellung ist ein ganz eigener Kosmos, und dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit, in diese unterschiedlichen Welten hineingezogen zu werden.
Wie würdest du deinen Arbeitsprozess als Kuratorin beschreiben?
Das ist eine wichtige und schwierige Frage, weil es auch um Machtpositionen geht: Wer entscheidet, wer ausstellen darf? Ich bin die Kuratorin und treffe diese Entscheidungen, was eine sehr subjektive Angelegenheit ist. Natürlich berücksichtige ich aktuelle Entwicklungen, aber letztlich habe ich hier große Freiheiten und muss mich vor keinem Gremium rechtfertigen. Das erlaubt es mir, sehr spontan auf Tendenzen zu reagieren.
Nach welchen Kriterien wählst du die Künstler:innen aus?
Es gibt ein Jahresprogramm, das einen Rahmen bildet, aber keine thematische Abarbeitung darstellt - eher einen roten Faden. Wenn ich Künstler:innen auswähle, interessiere ich mich besonders für Positionen, die eine gewisse Hartnäckigkeit zeigen, also länger an einer Fragestellung dranbleiben. Dabei spielt für mich auch die Frage eine Rolle, was ich den Künstler:innen anbieten kann, vor allem, wenn es um Themen geht, mit denen ich mich bereits intensiv beschäftigt habe. Ich suche nach künstlerischen Prozessen, die ich begleiten kann und sehe meine Rolle auch als Akt des Zuhörens und Unterstützens.
Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den Künstler:innen aus?
Meistens beginnt es mit einer E-Mail und dem Vorschlag eines studio visits. Wir treffen uns erst online und dann persönlich, wenn ich ihre Stadt besuche. Oder wir kommen auf halbem Wege zusammen. Ich arbeite etwa gerade mit einer Künstlerin aus New York, die derzeit in Paris ist. Dort werde ich sie in zwei Wochen besuchen. Danach folgt meist eine Einladung und ein sogenannter site visit, bei dem die Künstler:innen vor Ort den Ausstellungsraum besichtigen und die Stadt erkunden. Manche nutzen auch die Umgebung für ihre recherchebasierte Arbeit. Nach der Vorbereitungszeit folgt schließlich die Aufbauphase mit dem Künstler oder der Künstlerin kurz vor der Ausstellung. Ich möchte hier auch betonen, dass ich mit einem großartigen Team zusammenarbeite und jede Ausstellung bzw. Veranstaltung ein kollektives Bemühen ist. Mein Gesicht mag nach außen sichtbar sein, aber das Team trägt mit unterschiedlichen Expertisen dazu bei, wofür ich ungemein dankbar bin.
Ich suche nach künstlerischen Prozessen
Du hast in Hauptstädten wie Wien oder Berlin gelebt und gearbeitet, also pulsierende Metropolen mit zahlreichen kulturellen Angeboten, aber auch in kleineren Großstädten wie zum Beispiel Karlsruhe, Freiburg oder jetzt Münster. Welche Unterschiede in der Kunstvermittlung siehst du?
Kunstvermittlung spielt einfach eine größere Rolle in kleineren Städten. Hier in Münster muss ich mich viel mehr damit beschäftigen, welche Menschen die Institution besuchen und welche nicht. Im Vergleich zu Berlin oder Wien gibt es hier weniger Kunst- und Kulturschaffende, was natürlich die Größe und Art des Publikums beeinflusst. Es ist eine Herausforderung, ein Programm aufzustellen, das an einem Ort funktioniert, wo ein zeitgenössischer Kunstdiskurs weniger präsent ist. Man trifft auf ein anderes Publikum mit unterschiedlichem Vorwissen. Aber gerade das macht die Arbeit so spannend, weil man immer wieder neue Wege der Vermittlung finden muss.
Was macht denn gelungene Kunstvermittlung für dich aus?
Ich bin ja keine ausgebildete Kunstvermittlerin, sondern Kuratorin, aber Kunstvermittlung ist mir sehr wichtig. Für mich orientiert sich der Begriff an Nora Sternfelds Vorstellung, bei der es um einen Gegenverkehr geht, also um Dialog und Austausch, und nicht um eine Einbahnstraße. Ziel ist es auch, gemeinsam Räume zu erschließen und ästhetische Erfahrungen zu teilen, anstatt nur Wissen zu vermitteln. Es geht nicht nur um Verständnis, sondern auch darum, wie Kunst im Raum wirkt. Außerdem ist es eine große Herausforderung, das Publikum zum Sprechen zu bringen.
Apropos zum Sprechen bringen: Inwiefern spielt die Sprache, in der die Veranstaltung angeboten wird, eine Rolle? Das Englische ist ja im Kunstbereich sehr präsent.
Also, wenn ich in Berlin eine Veranstaltung organisiere, sind das Angebot sowie die Teilnehmer:innen fast ausschließlich englischsprachig, da stellt sich die Frage gar nicht. Hier in Münster muss man das Publikum sicherlich auch anders abholen. Zum Beispiel fiel bei einer Führung auf, dass es manchmal während des Gesprächs zwischen Künstler und Publikum zu Sprachbarrieren kam. Das führte zu Überlegungen im Team, ob wir womöglich Simultanübersetzungen einführen sollten. Es ist natürlich eine Ressourcenfrage, aber gleichzeitig eine wichtige, die mich beschäftigt.
Was kann man im Westfälischen Kunstverein alles erleben?
Oh, wirklich tolle Dinge! Neben den Ausstellungsbesuchen bieten wir viele interaktive Formate an, wie zum Beispiel Vorträge, Lesungen, Führungen oder Gespräche mit Künstler:innen, die zur Vernissage oder Finissage vor Ort sind. Wir organisieren auch Performances in Kooperationen mit anderen Institutionen, wie etwa dem Center for Literature. Es geht um verschiedene Facetten der Kunstvermittlung.
Der Radarraum gehört ja auch dazu. Worin unterscheidet er sich von den anderen Ausstellungsräumen?
Er wurde 2013 gegründet und fungiert als Scharnierstelle zwischen dem Kunstverein und dem Museum. Hier liegt der Fokus auf der Förderung junger Künstler:innen und Kurator:innen, die die Möglichkeit bekommen, erste Ausstellungen zu erarbeiten. Der Raum verfügt über eine großzügige Fläche, also viel Platz für Kreativität. Es ist mir wichtig, Nachwuchspositionen eine Plattform zu bieten, damit sie erste Erfahrungen sammeln können.
Worauf können sich die Kunstinteressierten in Zukunft freuen? Kannst du schon etwas verraten?
Momentan gibt es ja noch ein paar Überschneidungen. Mein eigenes Programm startet im Februar 2025 und steht bereits unter dem Arbeitstitel The Company We Keep Makes The World We Live In (Die Gesellschaft, die wir pflegen, bildet die Welt, in der wir leben). Wir planen drei Ausstellungen und verschiedene Veranstaltungsreihen, die sich vor allem auf Literatur und Film konzentrieren. Es gibt auch Kooperationen, wie zum Beispiel mit dem Literaturkollektiv „Texte zum Nachdenken“, das Künstler:innen einlädt, deren Fokus auch auf der Schreibpraxis liegt.
Der Radarraum wurde 2013 gegründet
Welcher „rote Faden“ zieht sich denn durchs nächste Jahr?
Es dreht sich um Freundschaft als politische Praxis. Die Idee ist, das Potenzial von Freundschaften als soziale und politische Kraft zu betonen, vor allem in unserer politisch polarisierten, emotionalisierten Zeit. Philosoph:innen wie Hannah Arendt haben sich intensiv mit dem Thema befasst und immer für ein Halten und Aushalten plädiert. Ich möchte den Blick darauf lenken, wie Freundschaften uns helfen können, in der heutigen Gesellschaft Perspektivenvielfalt zu fördern.
Ein faszinierender Ansatz – Freundschaft nicht nur als private Verbindung zu sehen!
Genau. Freundschaft ist ein wichtiges, aber oft unterschätztes Instrument, weil sie eben nicht institutionalisiert ist. Sie kann sich bestehenden Machtstrukturen entziehen. Es interessiert mich besonders, wie man das Modell der Freundschaft aus dem privaten in den politischen Bereich übertragen kann – als konstruktives Modell für Koexistenz und Solidarität.
Die Neugier fürs kommende Programm ist definitiv geweckt! Und wenn man nun aktiver mitwirken möchte, wie kann man Mitglied werden?
Das ist ganz einfach! Man kann sich online anmelden oder direkt ein analoges Formular aus dem Kunstverein mitnehmen. Der Mitgliedsbeitrag liegt bei etwa 60 Euro pro Jahr, was für das gebotene Programm sehr erschwinglich ist, da man alle Ausstellungen und Veranstaltungen unseres Kunstvereins gratis besuchen kann.
Warum ist das Kunstvereinsmodell für dich so bedeutend?
Das Modell liegt mir sehr am Herzen, da es junge Gegenwartskunst fördert und darüber hinaus eine lange Tradition hat, die über 200 Jahre zurückreicht. Kunstvereine sind das älteste Modell, das es gibt – sie waren da, bevor es überhaupt Museen oder einen Kunstmarkt gab. Der Westfälische Kunstverein hat seine Sammlung als Dauerleihgabe im Museum nebenan – ein Alleinstellungsmerkmal, das unsere Geschichte prägt. Ursprünglich ging es ja darum, die Kunst von Adel und Kirche zu lösen und dem Bürgertum einen Raum für Diskussionen zu bieten. Heute möchten wir daran anknüpfen und Kunst als Plattform für sozialen und politischen Austausch nutzen – Aspekte, die oft in Vergessenheit geraten.
Was sollte sich in der Kunstwelt dringend ändern?
Die finanzielle Wertschätzung der Künstler:innen. Der Kunstbetrieb ist in vielen Bereichen extrem asymmetrisch, besonders wenn es um Macht und Geld geht. Es ist verrückt, dass das Künstler:innen-Dasein immer noch nicht als Profession verstanden wird – als müssten sie nicht auch eine Miete bezahlen. In Deutschland gibt es nach wie vor keine verpflichtenden Honorare für ihre Arbeit. Es ist frustrierend zu sehen, dass in vielen Institutionen, selbst in großen, namhaften, in denen riesige Budgets für Produktionen vorhanden sind, die Künstler:innen kaum entlohnt werden. Das muss sich ändern.
Zum Schluss noch zwei kurze Fragen als Absacker: Was liest oder hörst du gerade?
Juliane Rebentisch, Der Streit um Pluralität: Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt.
Gibt es tägliche Rituale, die deinen Arbeitsalltag begleiten?
Sport.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch! Ich wünsche dir viel Erfolg und Freude bei deiner Arbeit und all den Projekten, die noch kommen.
Ich bedanke mich beim Stadtgeflüster Interviewmagazin.
THERESA ROESSLER
Sie ist geboren 1992 in Halle an der Saale, studierte Kunstgeschichte in Wien sowie Kunstwissenschaft, Medienphilosophie, Kuratorische Studien und Ausstellungsdesign in Karlsruhe und Dublin. Sie war für verschiedene Galerien, Kunstvereine und Museen tätig, zuletzt als Kuratorin am Kunstverein Freiburg. Neben institutionellen Tätigkeiten kuratierte sie freie Ausstellungen und veröffentlichte Texte in renommierten Kunstmagazinen wie Revista ARTA und Camera Austria. 2024 erhielt sie ein Stipendium des Goethe-Instituts für eine Forschungsreise nach Tiflis, Georgien. Am 1. September 2024 übernahm sie die Leitung des Westfälischen Kunstvereins in Münster.
www.westfaelischer-kunstverein.de
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Mooni Perry & Thorsten Arendt