Thorsten Kambach und Thomas Rödding über Produkte, die sprechen können.
SAG MAL, WO KOMMST DU DENN HER?
Auf das heutige Interview freue ich mich besonders, ich treffe Thomas Rödding – Unternehmer, Programmierer und Erfinder aus Münster. Mit seiner ersten Erfindung behob er ein „kleines“ Microsoft-Word-„Problem“ und machte daraus einen Riesenerfolg: Menschen aus aller Welt lassen über seine Technologie online Bücher, Flyer, Briefe und vieles mehr drucken. Kommt dir bekannt vor? Ist es auch. Aber heute geht es um seine zweite Erfindung: Narravero. Die lässt Produkte mit Kunden sprechen. Warum? Transparenz! Und die ist nicht nur wichtig, sondern nun auch Pflicht.
Thorsten: In der Karte steht, wo die Kartoffeln, der Salat und das Fleisch herkommen, aber die Karte selber ist aus Tierleder ohne Herkunftsnachweis! Sollten wir trotzdem hier essen?
Thomas (lacht): Du kommst direkt auf den Punkt! Die Karte wird älter sein, damals war das okay. Wir können beruhigt unser Essen bestellen.
Apropos Herkunftsnachweis: Thomas, deine Geschichte ist den meisten auch nicht bekannt. Das ändern wir. Fangen wir mit einem Knaller an: Deine erste Erfindung nutzt jeder, der online ein Fotobuch drucken lässt oder Hochzeitskarten bestellt.
Zunächst: Ob es schade ist, dass mich kaum einer kennt, sei dahingestellt. Aber was die Erfindung angeht: Meine Idee war es, Unternehmen zu ermöglichen, bei Druckprodukten statt einer großen Auflage viele kleine zu drucken. Dass letztendlich Fotobücher dabei rauskamen, war erst nicht geplant.
So wie Flyeralarm?
Genau, die machen das mittlerweile auch. Uns gab es aber schon vor der Onlinezeit, 1991.
Das Unternehmen hast du inzwischen verkauft?
Meine Anteile, im Sommer 2008. Das Unternehmen gibt es nach wie vor.
Was hast du mit dem ganzen Geld gemacht?
Zunächst nichts. Ich bin auf Reisen gegangen, wollte herausfinden, in aller Ruhe, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen möchte. Ich war in Asien und in Südamerika, später via Sydney nach Argentinien, Chile und Ecuador.
Alles erster Klasse oder eher Backpacker-Style?
Unterschiedlich. Absteigen eher nicht. Ich wollte wenig Kontakt zu anderen, weder Geschäftsreisenden noch Touristen. Ich war da, um neue Eindrücke nur für mich zu sammeln und um alleine-reisen zu erleben. Das war sehr beruhigend. Wenn du irgendwo bist, niemand mehr anruft, du keinen sprichst, den du kennst.
Diese Ruhe hat dich auf eine neue Ideen gebracht?
Nicht direkt. Ich war, bevor ich nach Hause kam, auf einer Tour durch die Wildnis in Kenia mit einem Massai, wollte sehen, wie Natur funktioniert, wenn Menschen keinen Einfluss nehmen. An einem Tag trafen wir auf Büffel, die sich gerade um zwei Kleine kümmerten, mit ihnen kommunizierten. Am anderen Tag auf Löwen. Aus drei Metern Entfernung erlebten und hörten wir, wie ein Löwe den Schädel eines kleinen Büffelkalbes zerbiss – das ist brutal laut: Es knackt, schmatzt und knallt. Daneben drei kleine Löwen, die zuguckten und seelenruhig warten, bis sie an der Reihe sind.
Was hat das mit dir gemacht?
Es war seltsam. Ich dachte an die Büffel des Vortages, wie sie traurig einen der ihren vermissen. Auf der anderen Seite die kleinen Löwen, die verhungern würden, wenn es anders laufen würde. Es geht darum, wie das System überlebt. Als ich zurück in Deutschland war, machte ich mich auf die Suche nach einer Jagdschule, wollte wissen, wie das, was ich in Afrika sah, um die Ecke zuhause funktioniert, wie die Dinge zusammenhängen, konkrete „Ökosysteme“.
Du bist offenbar kein Vegetarier.
Nein, aber Tierfreund. Vegetarier und Veganer, das ist für mich zu extrem. Ich glaube nicht daran, dass die Menschheit aufhört, Fleisch zu essen. Aber ich fragte mich, ob den Tieren vielleicht mehr geholfen ist, wenn sie artgerecht behandelt würden. Ich sagte mir, das könnte ich erreichen, wenn die Menschen die Wahl haben, wenn sie anfangen, sich zu fragen, ob das Fleisch, das sie gerade kaufen, aus guter Haltung ist. Und das ist im Moment gar nicht so einfach. Mir ist nämlich aufgefallen, dass an der Fleischtheke einfach nur Jungbulle aus Deutschland oder Steak aus Argentinien angeboten werden. Noch nie hörte ich die Frage zu „ein Schnitzel bitte“ – „Von welcher Marke soll es sein? A, B oder C?“. Das finde ich komisch.
„Die (Flyeralarm) machen das inzwischen auch, aber uns gab es schon lange vorher“
Ist mir noch nicht aufgefallen …
Bei den meisten Produkten haben wir die Wahl, ob Biojogurt von X oder eben eine günstige Handelsmarke Y. Du kannst alles durchgehen, immer hast du die Wahl, außer an der Fleischtheke. Da weißt du nicht, woher das Steak kommt, welchen Weg es nahm, ist es voller Antibiotika, ist es artgerecht aufgezogen? Zusammengefasst: Kommt es aus guter oder schlechter Quelle.
Damit sind wir bei deiner neuen Erfindung: Narravero. Was ist das?
Damit sprechen die Produkte zu dir. Im übertragenen Sinne. Wir haben eine Technologie erfunden, mit der Kunden direkt im Supermarkt erfahren können, was sie gerade eigentlich kaufen. Mitsamt der Produktbiografie.
Wie bringst du Produkte zum Reden?
Technisch gesehen ganz einfach: Wir heften einen NFC-Chip an das Produktetikett und der ist der Schlüssel zur kompletten Produktgeschichte. Den NFC-Chip kannst du dir vorstellen wie einen winzigen USB-Stick – so groß wie dieser i-Punkt. Halte ich nun ein Handy in die Nähe, erscheinen alle Infos zum Produkt auf meinem Screen. Ich muss dazu vorher keine App installieren.
Und der klebt nun auf dem Fleisch?
Der ist im Etikett. Je nach Produkt. Bei einer Batterie an der Batterie direkt, genauso wie er direkt auf einem Koffer kleben kann. Der ist überall einsetzbar.
Auch in Shirts?
In den Rückenetiketten. Oder im Hemdenknopf.
Dann habe ich künftig einen Computer im Nacken – hat der eine Batterie?
Nein, der bezieht seine Energie aus den Funkwellen deines Handys, wenn du es in die Nähe hältst. Das reicht ihm, um zu funktionieren. Du kennst das von Bankkarten mit kontaktlosem Bezahlen, da drin sind auch NFC-Chips verbaut.
Das gibt es noch nicht?
Die Idee, einen Chip mit Daten auf ein Produkt zu kleben, ist einfach. Aber das ist nicht sicher: Du könntest den klauen und woanders aufkleben – den eines teuren Weins auf einen günstigen beispielsweise.
Wie habt ihr das Problem gelöst?
Wir nutzen nun den NFC-Chip nicht nur als Speicher, sondern als einmaligen Schlüssel. Dieser führt erst zu den Daten, die sicher in unsere Cloud verwahrt sind.
Und das ist deine Erfindung?
Ja, diese Codierung des Chips, die haben wir entworfen, programmiert und getestet – das ist unser Gebrauchsmuster und unsere Patentanmeldung. Damit können wir viel mehr Daten sicher abspeichern, als auf einen NFC-Chip draufpassen und diese können zudem ergänzt werden. Ein Produkt hat nicht nur eine Vorgeschichte, sondern es gibt auch die Zeit nach dem Kauf – nicht unbedingt bei Fleisch, aber nimm beispielsweise ein Auto. Da gibt es die Infos über die Herkunft der Batterie, des Gummis der Reifen, des Leders der Sitze. Nach dem Kauf geht es weiter, denn irgendwann gibt´s neue Reifen. Also neue Infos! All das speichern wir und zeigen diese Infos über den NFC-Chip dem Kunden.
„Wir machen Produkte transparent, nicht Verbraucher“
Nun kann ich im Supermarkt rausfinden, ob mein Fleisch super ist und in der Werkstatt, woher das Gummi meiner Reifen stammt. Aber nur weil es geht, heißt das nicht, dass alle Hersteller mitmachen. Warum bist du da optimistisch?
Zum einen: Wir setzen Narravero schon ein. Wir sind seit fünf Jahren mit der Idee beschäftigt und die Technologie ist seit drei Jahren im Einsatz. Bei Wildfleisch sind wir da auf einem sehr guten Weg und auch in anderen Branchen sind wir mehr und mehr aktiv.
Der zweite Grund meines Optimismus ist der, dass das EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gestartet ist. Damit ist es nun Pflicht, die Herkunft aller Produktdetails digital nachzuweisen. Narravero bietet genau das und eben genau dort, wo man es erwartet, nämlich am Produkt.
Was ist denn das für ein Wortungetüm?
Der Begriff ist nicht sehr eingängig, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Er soll beschreiben, was nun Pflicht ist. Dazu gehört, dass Hersteller für ihre Produkte nachweisen müssen, woraus jedes einzelne besteht, wo die Bestandteile herkommen und welche Stationen es durchlaufen hat.
Dich stört, dass dir die Info vorenthalten wird, woher bestimmtes Fleisch stammt, da erfindest du Narravero, bringst es auf den Markt und plötzlich wird deine Idee zur europaweiten Pflicht. Das nenne ich Glück – oder kannst du hellsehen?
(Lacht) So wie du es sagst, klingt es so. Aber das ist arg zusammengefasst. Als ich vor fünf Jahren die Idee hatte, die Herkunft von Fleisch detaillierter und smarter nachzuweisen, war von dem Gesetz noch nicht die Rede. Aber seit zwei, drei Jahren war es für mich absehbar. Ich bin seit einigen Jahren Teil einzelner DIN-Ausschüsse.
Und da ging es …
Moment, meinst du das berühmte DIN – das alles bestimmende Deutsche Institut für Normung!?
Das ist nicht alles bestimmend, aber gibt Richtwerte vor. Und die sind auch wichtig. Einer sagt dir beispielsweise, dass ein bestimmtes Papierformat das DIN-A4-Format ist. Aber es sagt dir nicht, aus welchem Material das DIN-A4 gemacht sein muss. Das heißt, es gibt einen Rahmen vor und nur teils die konkrete Umsetzung.
Man kann bei DIN-Ausschüssen einfach mitmachen oder wie wurdest du dort Mitglied?
Jeder kann mitmachen. Du kannst dich da anmelden, in Berlin. Das habe ich vor Jahren getan – wie gesagt, mich haben immer schon Zusammenhänge interessiert.
Was hast du gemacht im DIN-Ausschuss? Ich meine, DIN-A4 gab es ja schon …
(Lacht) Da ging es auch um digitale Herkunftsnachweise für landwirtschaftliche Produkte. Im Grunde dasselbe wie nun auf europäischer Ebene, da ist das die CEN und die standICT. In Ausschüssen bin ich da ebenso und dort geht es um Transparenz zu Tiergesundheitsdaten und um Digitale Produktpässe.
Das heißt, du definierst für die Europäische Union, was von den Lieferketten abgebildet werden muss – aber nicht, wie?
Nicht ich; das machen EU-Kommission und EU-Parlament. Aber ansonsten: Ja, ich trage meine Expertise dazu bei.
Und mit Narravero hast du dann das „Wie“?
Genau daran arbeiten wir.
Klingt nach Silicon Valley und einem Riesengeschäft. Das braucht jedes Produkt und wenn ich mal überschlage …
Ist aber nicht in Kalifornien, sondern mitten in Münster. Und was das Riesengeschäft angeht: Es stimmt, wir sind sehr optimistisch, denn es betrifft jedes Produkt und wir bieten für jedes Produkt eine Lösung, die einfach, sicher und smart ist. Und vor allem grenzenlos skalierbar durch unsere Technologie. Damit drehen wir den Spieß um, machen Produkte transparent und nicht die Verbraucher. Das ändert einiges.
Vielen Dank Thomas, ich freue mich auf die Gespräche mit den Produkten im Supermarkt.
Thomas Rödding
Er ist Unternehmer, Erfinder und Programmierer aus Münster. Als junger Mann entwickelt er eine Schnittstelle zu Microsoft-Word und erfindet damit den Vorläufer zu Flyeralarm. Nach dem Verkauf seiner Firmenanteile geht er auf Reisen und kaum zurück inspiriert ihn der Besuch eines Supermarktes zu der Idee, die künftig Produkte mit Kunden sprechen lässt. Mehr dazu findest du hier:
https://narravero.com
Autor Thorsten Kambach / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Maren Kuiter